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Music from Big Pink: Roman (German Edition)

Music from Big Pink: Roman (German Edition)

Titel: Music from Big Pink: Roman (German Edition)
Autoren: John Niven
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jeden Scheiß. Ich fuhr wie diese alten Knacker, auf die ich immer so geflucht hatte, wenn ich hinter ihnen festhing.
    Nachdem ich einmal falsch abgebogen und irgendwo bei Topanga Park in einer Sackgasse gelandet war, erreichte ich irgendwann Pacific Palisades und fuhr dort auf den Highway. Zu meiner Linken erstreckte sich groß und grün das Meer, rechts lagen die Berge. Ich schaltete das Radio an. Irgendein Mädchen sang »Don’t stop, thinking about tomorrow«, immer und immer wieder, einen Song, den man gerade überall hörte. Ich kannte mich nicht sonderlich gut aus mit all der neuen Musik. Ich hatte diesen Teil von mir absterben lassen, als ich im Gefängnis saß. Wenn man im Knast versuchte, dieselbe Person zu bleiben, die man vorher gewesen war, dann drehte man durch. Das erlebte man ständig. Man musste loslassen und jemand anderer werden, sich neu erfinden. Eine Woche zuvor in New York war ich gerade die 42 nd Street entlanggetorkelt, als ich an der Ecke zur 7 th Avenue an einer Gruppe Kids vorbeikam. Sie sahen schlimmer aus als ich, der ich frisch aus dem Knast kam: zerrissene Jeans, löchrige Sneaker, völlig beknackte Frisuren. Auf dem T-Shirt eines Jungen stand »Piss«. Punkrock nannten sie das. War das neue Ding in New York und drüben in England. Der totale Schwachsinn, Mann: ein Haufen zerlumpter, kreischender Penner.
    Am Schild »Zuma Beach« fuhr ich links rein, stellte den Wagen ab und folgte dem salzigen Geruch des Meeres. Man konnte die Wellen hören. An der Straße parkte ein riesiger Equipment-Truck, aus dem zwei Typen Masten, Lampen und allen möglichen Lichtkram entluden. Auf einem kleinen Schild stand » 300065 MORNING VIEW «. Ich nickte den Männern zu und näherte mich zielstrebig dem großen Anwesen im Ranchstil, als wäre ich dort zu Hause. Niemand hielt mich auf. Die Eingangstür stand offen, also betrat ich den Flur. Er war ziemlich düster, wohl auch aufgrund der dicken, pflaumenfarbenen Samttapete. Es sah aus wie in einem beschissenen Bordell. In dem engen Korridor kamen zwei Männer auf mich zu, der eine trug eine Kamera, der andere ein großes Mikrofon, das wie ein riesiges, pelzbezogenes Zäpfchen aussah. »Entschuldige!«, rief einer der beiden, als er sich an mir vorbeischob. Er drehte sich zu dem anderen um und sagte: »Jeden Tag die gleiche Scheiße …« Dann verschwanden sie nach draußen. Ich ging weiter den Flur hinunter. Von irgendwo hörte ich Musik.
    Ich kam an einer offenen Tür vorbei und blickte hinein. Im Zimmer saß Garth Hudson und starrte auf den Fernseher, durch die geöffneten Fenster sah man auf den Strand und aufs Meer. In zehn Jahren war er nicht einen Tag gealtert. Vermutlich war er jetzt Anfang vierzig. Ich klopfte an den Türrahmen, und er blickte zu mir auf. »Ähm, hi, Garth«, sagte ich.
    »Kann ich dir helfen?«, fragte er, offenbar weder verärgert noch erfreut.
    »Äh, ich bin’s, Greg.« Nichts. »Greg Keltner? Aus Woodstock?« Sein Gesicht hellte sich etwas auf.
    »Hi. Wie geht’s dir?«
    »Äh, ganz gut. Ich war gerade in der Stadt und dachte, ich schau mal vorbei und sag Hallo. Ich … ich war ’ne Weile weg. Wie läuft’s denn so?«
    »Muss ja«, lächelte er.
    »Weißt du, ob Richard da ist?«
    »Er liegt wahrscheinlich noch im Bett. Wenn du wieder zur Haustür rausgehst und dem Pfad ums Haus herum folgst, dann siehst du einen kleinen Bungalow. Klopf einfach laut an.«
    »Alles klar. Danke, Garth. Schön, dich zu sehen.«
    »Na klar.« Er winkte kurz und widmete sich dann wieder dem Fernseher.
    Als ich vor dem Bungalow stand, war ich richtig nervös. Ich fühlte mich wie jemand, der seine Exfreundin besucht und sich fragt, ob wohl ihr Ehemann die Tür öffnen wird. Nachdem ich bereits eine ganze Weile geklopft hatte, ertönte drinnen schließlich gedämpftes Gemurmel, Dinge fielen um, eine Flasche zerbrach. Die Tür wurde aufgerissen, und da stand Richard. Um ehrlich zu sein, erkannte ich ihn nur, weil ich kürzlich ein paar Bilder im Rolling Stone gesehen hatte. Der Typ, der da im fleckigen T-Shirt und in Unterhose vor mir stand, besaß keinerlei Ähnlichkeit mit dem Richard, den ich gekannt hatte. Sein Bart war wild und buschig, mit grauen Strähnen und Essenresten darin. Seine Haut hatte die Farbe einer reifen Banane, und er war extrem dünn. Aber bei den Augenbrauen – dunkel, struppig und verärgert zusammengezogen – gab es kein Vertun. »Was?«, herrschte er mich an. »Was zum Teufel willst du von mir?« Seine Stimme war ein
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