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Music from Big Pink: Roman (German Edition)

Music from Big Pink: Roman (German Edition)

Titel: Music from Big Pink: Roman (German Edition)
Autoren: John Niven
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erreichten wir einen Trampelpfad, der sich zwischen Büschen und Felsen hindurchschlängelte. Schließlich standen wir an dem großen, hohen Zaun, der Dylans Anwesen umgab, vor einem Schild mit der Aufschrift: PRIVATGRUNDSTÜCK. AUF EINDRINGLINGE WIRD GESCHOSSEN. So ähnlich wie das Schild, das er damals in Woodstock hatte. Richard folgte dem Zaun und sagte, er wüsste einen Weg hinein. »Scheiße, Richard, hältst du das wirklich für eine gute Idee?«, fragte ich ihn. Wir waren weiß Gott nicht in der Verfassung, über Zäune zu klettern.
    »Klar doch. Komm schon hoch. Diese Schilder stehen hier überall, die bedeuten gar nichts. Setz deinen Fuß einfach hier rauf.« Er war an einer etwas niedrigeren Stelle über ein paar Felsen auf den Zaun hinaufgeklettert. Ich stieg ihm hinterher. Man konnte auf das Grundstück sehen. Richard pfiff. »Willst einen Blick auf das Haus werfen?«
    Ich zog mich mit beiden Händen am Zaun hoch. Heilige Scheiße. Aus Holz und Metall hatte Dylan sich diesen riesigen, völlig irre aussehenden Wohnsitz gebaut, der wie eine Art Space-Age-Tempel aussah. Ganz oben auf dem Gebäude, das gleißende Sonnenlicht reflektierend, thronte eine gewaltige zwiebelförmige Kupferkuppel, die ein wenig an diese alten russischen Kathedralen erinnerte, wie man sie von Fotos kennt. Das Ding sah aus, als wäre es geradewegs einem Märchen entsprungen. Oder einem Albtraum.
    »Wow, beeindruckend«, sagte ich.
    »Sag ich doch.«
    »Was treibt der gute Bob denn da drin?«
    »Er schneidet diesen Film, den er gemacht hat. Mit Howard!« Wir mussten beide lachen. Zehn Jahre danach, und Dylan hatte sich schon wieder in einer Villa verkrochen, diesmal am anderen Ende des Landes, um mit Howard Alk an einem bescheuerten Film rumzuschrauben.
    »Sollen wir reingehen?«
    »Lieber nicht. Bob kommt bei dir vorbei. Aber du niemals bei Bob«, sagte Richard und kletterte wieder runter.
    Wir kehrten zum Strand zurück. Richard legte sich in den Sand, während ich mich setzte und aufs Meer hinausstarrte. Draußen kreuzten ein paar Jachten, ihre Segel weiße Risse im endlosen Blau und Grün. Je höher die Sonne stieg, desto heißer wurde es. Richard hatte die Flasche Grand Marnier im Sand vergraben, um sie kühl zu halten. Ich zog sie heraus und nahm einen tiefen Schluck. Da war noch etwas, das ich ihn fragen wollte. Etwas, worüber ich mir seit ein paar Wochen den Kopf zerbrach. Ziemlich genau, seit ich aus dem Knast gekommen war und mir in einem Plattenladen sämtliche Alben von ihnen gekauft hatte, die sie während meiner Abwesenheit gemacht hatten. Ich war noch nicht dazu gekommen, alle komplett durchzuhören. Einige waren fantastisch, andere bloß okay. Aber keins klang für mich so gut wie das erste, das sie damals, ’67, unten im Keller des alten Hauses an der Pine Lane geschrieben hatten.
    »Richard?«, fragte ich und drehte mich zu ihm um. Er lag auf dem Rücken und starrte durch seine Sonnenbrille hinauf in den wolkenlosen Himmel. »Wie kommt’s, dass du keinen einzigen Song mehr geschrieben hast?«
    Er setzte sich langsam auf, blickte aufs Meer hinaus und fuhr mit der Hand durch seinen struppigen, buschigen Bart. »Na ja, Robbie hat so viele gute Sachen geschrieben.« Er zuckte mit den Achseln, bohrte einen Finger in den Sand, zeichnete Linien und Kreise. Für eine Sekunde sah er wie ein kleines Kind aus, das man gefragt hatte, warum es ungezogen gewesen war. »Es ist bloß …« Er brach ab, starrte zu den Segelbooten hinüber und dachte nach, während die Möwen krächzten und das Meer an unseren Füßen leckte. »Es ist so hart«, sagte er mit seiner rauen, brüchigen Stimme. Dann sah er mich an, das Meer und die Brandung spiegelten sich in seiner Sonnenbrille. »Es ist so verdammt hart. Verstehst du?«
    Ich nickte und drückte ihm die sandige Flasche in die zitternde Hand. Ja, ich verstand.
    Es war hart.

sechzehn
    »The days that remain …«
    Toronto, 1986 • Als ich wieder zu mir kam – den kratzenden Teppich im Nacken, ein Stückchen Deckenputz nur ein paar Zentimeter von meinen Fingerspitzen entfernt –, sprang die Nadel in der Auslaufrille. Der letzte Refrain – »Any day now, any day now …« – spulte sich wieder und wieder in meinem Kopf ab. Ich musste die Platte also irgendwann umgedreht haben. Aber ich konnte mich nicht daran erinnern.
    Ich schaltete die Stereoanlage aus, die mit lautem Brummen und Knistern erstarb, während das orangefarbene Glühen hinter dem Lüftungsgitter verblasste und die
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