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Music from Big Pink: Roman (German Edition)

Music from Big Pink: Roman (German Edition)

Titel: Music from Big Pink: Roman (German Edition)
Autoren: John Niven
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alten Röhren erst weiß wurden und dann die Farbe kalter Asche annahmen. Draußen war es nun dunkel, die Fenster der kleinen Häuschen von Scarborough hell erleuchtet. Ich griff nach dem Briefchen, das neben Spritze und Löffel lag. Es war leer, nicht einmal ein feiner Film war auf dem glänzenden Papier zurückgeblieben. Ich würde in die Stadt fahren müssen. Oben hatte ich noch etwas Geld.
    Im März herrschte in Toronto noch immer Winterkälte. »Kanada«, hatte Ronnie Hawkins angeblich einmal zu Levon gesagt, damals in Arkansas, bevor sie zum ersten Mal hier raufkamen, »ist so kalt wie das Herz eines Buchhalters.« Jeder der Jungs hatte gelegentlich Ronnie zitiert. Einmal, nachdem Rick beim Friseur war, beglückwünschte ich ihn zu seinem neuen Haarschnitt. »Danke, mein Sohn«, antwortete Rick mit einem schlecht imitierten Südstaatendialekt. »Ich nenne es den Big Dick Look.« Einer von Ronnies Sprüchen.
    Ich sah mich an der Bushaltestelle um: ein asiatisches Pärchen, ein junges weißes Mädchen, ein alter Schwarzer. Der Alte kauerte auf einem der Plastiksitze, unter das Gewicht von Mantel, Schal und Hut geduckt. Hin und wieder riskierte er durch die schwarzen Schichten seiner Winterkleidung einen Blick gen Osten, um zu sehen, ob der Bus schon kam – was nicht der Fall war. Also setzte ich mich hin, mein Kopf immer noch dumpf und grau vom Schlaf und vom Heroin, und dachte an alles und nichts.
    Richard Manuel war tot. Er hatte sich in einem Hotelzimmer in Florida erhängt. Einen Gürtel um seinen Hals geschlungen und sich damit den Kehlkopf zertrümmert – den Kehlkopf, mit dem er diese wundervolle Stimme erzeugt und wie Ray Charles gesungen hatte.
    Albert Grossman war tot. Erst vor ein paar Monaten hatte er einen Herzinfarkt erlitten, in der ersten Klasse auf einem Flug nach London. Zu viele französische Delikatessen, zu viele Klagen vor Gericht.
    Alex war tot. Eine Überdosis Kokain. 1980 wurde er in einem Müllcontainer am Sunset gefunden – wenige Monate, nachdem ich L. A. verlassen hatte. Zweieinhalb Jahre war ich dort geblieben, dann war jeder Penny verprasst, den mein Vater mir vermacht hatte. Alles, was mir nun noch blieb, war Toronto, das Haus und die Schecks vom Sozialamt.
    Howard Alk war bereits seit ein paar Jahren tot: ein paar Körnchen zu viel auf den verrußten Löffel geklopft, den Kolben gedrückt – bumm. Eine für den Schmerz, zwei für die Ewigkeit. Er hatte allein gelebt, weshalb er erst nach einigen Tagen gefunden wurde. Niemand weiß, ob es ein Unfall war, eine Überdosis, oder ob er einfach die Nase voll hatte. Aber ich bin davon überzeugt, dass jemand, der seit zwanzig Jahren Heroin spritzte, nicht aus Versehen an einer Überdosis starb.
    Johnny Becker war tot. Er wurde 1971 während der Unruhen in Attica erstochen. Ich erfuhr erst Jahre später davon, Genugtuung empfand ich allerdings keine. Ich war nicht mehr böse auf ihn. Im Knast musste ich manchmal an die Scheiße denken, die er früher so rausgehauen hatte, wenn wir alle zusammen vor dem Fernseher saßen. Das brachte mich zum Lachen. »Was gibt’s da zu lachen, du Pisser?«, raunzte Fucker mich dann von seiner Pritsche aus an.
    Levon, Garth und Rick waren alle von L. A. zurück nach Woodstock gezogen. Vermutlich ging es ihnen ganz gut. Ich hätte nicht dorthin zurückgehen können. Die Erinnerung war einfach zu traurig.
    Der kleine Tommy war tot, er starb, kurz nachdem ich in den Bau wanderte. Er hatte es nicht nach Vancouver geschafft. Er wurde eingezogen und war mitten im Dschungel, an einem Ort, den er nicht einmal aussprechen konnte, auf eine Landmine getreten. Alex fuhr zu seiner Beerdigung nach Hause. Später erzählte er mir, dass er sich gefragt hatte, was wohl in dem Sarg lag.
    Robbie Robertson lebte noch. Er arbeitete jetzt im Filmgeschäft. Das letzte Mal sah ich ihn ’78 auf einem Elvis-Costello-Konzert im Troubador. Er gab irgend so einer Braut ein Autogramm. Er wirkte reich, gelangweilt und zugekokst. Ich hatte kurz daran gedacht, ihm Hallo zu sagen, aber mit manchen Leuten ist es eben so, dass man sich eine Zeit lang kennt und irgendwann halt nicht mehr. Robertson stand mir nicht näher als irgendein zufälliger Sitznachbar im Flugzeug. Dangeschönschätzschen . Ich glaube, Skye hatte mit ihrer Einschätzung ganz richtig gelegen.
    Ihr ging es gut, soweit ich gehört habe. Sie und ihr Mann lebten in San Francisco, hatten ein großes Haus in Pacific Heights und einen Haufen Kinder. Das wusste ich von
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