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Bauernopfer: Lichthaus' zweiter Fall (German Edition)

Bauernopfer: Lichthaus' zweiter Fall (German Edition)

Titel: Bauernopfer: Lichthaus' zweiter Fall (German Edition)
Autoren: Paul Walz
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Dienstag
    Johannes Lichthaus ließ die Glaskugeln in den Händen hin und her wandern, zwischen den Fingern hindurchgleiten und wieder in die Hand zurückkehren. Eine überflüssige Angewohnheit, die ihm aber oft beim Denken half. Er schaute zum Fenster. Draußen war der trübe Märzhimmel mittlerweile schwarz, und die Lichter der Straßen bis hinüber zum Petrisberg brannten in der Dunkelheit, während der Feierabendverkehr unten an der Reichsabtei vorbeirauschte wie eine fluoreszierende Schlange.
    Auf seinem Schreibtisch herrschte angenehme Ordnung, und er würde nicht mehr lange hier herumsitzen, sondern die Gelegenheit nutzen und ein paar seiner unzähligen Überstunden mit Claudia und Henriette abfeiern. Nachdem es um Weihnachten und Silvester zu zwei Tötungsdelikten und einigen Gewalttaten gekommen war, zeigten sich Januar und Februar bis auf Karneval extrem friedlich. Seine Mordkommission lief nur im zweiten Gang. Ob es an der eisigen Kälte lag, die spät im Winter über Deutschland hereingebrochen war, oder ob es einen anderen Grund dafür gab, nun, ihm war es egal. Die aktuellen Fälle waren weitgehend geklärt, und es schien eine Zeit anzubrechen, in der man den Schrank aufräumte und Akten von ungelösten Taten ans Licht zog.
    Es klopfte, und Siran Özdemir kam wie gewohnt lächelnd herein. Der junge Deutschtürke war mittlerweile ein Jahr bei ihnen und zeigte jede Eigenschaft, die ein guter Kriminalbeamter haben musste: ein enormes Fachwissen, die Fähigkeit, sich in unterschiedlichste Fälle einzudenken, Intuition und unerschöpfliches Beharrungsvermögen, das einen davon abhielt, die Klärung schier unlösbarer Verbrechen aufzugeben. Siri, wie ihn alle in der Abteilung nannten, war ein kleiner, drahtiger Mittzwanziger, der nach Polizeihochschule und kurzer Streifenzeit von der Kripo in Ludwigshafen hierher versetzt worden war. Als Verstärkung nach einem Horrorfall, der bundesweit Schlagzeilen gemacht und die Ermittlungskommission um zwei Teilnehmer dezimiert hatte. Lichthaus’ Blick wanderte zu dem Foto, das ihn und Thomas Scherer zeigte, wie sie angestrengt über den Notizen am Whiteboard grübelten – ein Schnappschuss nur einige Tage bevor Scherer Opfer eines psychopathischen Mörders wurde. Lichthaus hatte den schwer verletzten Freund aus dem Fluss gezogen und zu reanimieren versucht, doch ohne Erfolg.
    Siran setzte sich. Er trug wie so oft im Winter Jeans und einen schwarzen Rollkragenpullover, der in sein kurz geschnittenes ebenso dunkles Haar überzugehen schien. Er besaß die Gabe, mit einem Blick aus seinen braunen Augen und dem sanften Lächeln Zeugen zum Reden zu bringen, die sich vorher verweigert hatten. Aber sein Äußeres trog. Austrainiert, wie er war, hatten schon deutlich größere Angreifer das Nachsehen gehabt und endeten oft mit Sirans Knie auf dem Rücken und verdrehten Armen.
    »Hallo Johannes, liegt noch was an, ansonsten würde ich für heute Schluss machen?« Es war typisch für ihn, nicht nach Hause zu gehen, ohne sich verabschiedet zu haben.
    »Nein, Siri, nur eine Frage: Was ist mit diesem Brandscheid?«
    Dirk Brandscheid stand in Verdacht, Zeuge eines Totschlags zu sein, der sich an Karneval in Trier-West ereignet hatte. Zwei völlig betrunkene Männer waren sich am Rosenmontagsnachmittag auf dem Bürgersteig begegnet und aneinandergeraten, da keiner dem anderen ausweichen wollte. Nachdem die beiden sich lautstark angebrüllt und mit allen Schimpfwörtern tituliert hatten, die sie aus ihren in Alkohol eingelegten Hirnen hervorkramen konnten, drosch der jüngere, ein Arbeitsloser namens Enrico Decker, seinem gut zwanzig Jahre älteren Widersacher derart ins Gesicht, dass dessen obere Zahnprothese brach, aus dem Mund schoss und quer über die Straße in den Rinnstein sprang, wo sie in einem Fastfood-Karton liegen blieb, in dem noch getrockneter Ketchup klebte. Der nun halb zahnlose Franz Friesdorf rannte nicht davon, sondern wischte sich das Blut vom Kinn, um sich anschließend auf Decker zu stürzen. Der verlor das ohnehin wackelige Gleichgewicht, und beide gingen zu Boden.
    Einige Sekunden später war Decker tot, lag mit gebrochenem Schädel zwischen Bordstein und parkendem Auto im karnevalesken Unrat und glotzte leer in den Himmel. Der Notarzt war ohne Chance. Friesdorf hatte einen Blutalkoholspiegel von 2,7 Promille und nach der Ausnüchterung einen enormen Kater, aber keinerlei Erinnerung an die Ereignisse mehr. Die wenigen Zeugen, zum Teil nicht minder betrunken,
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