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Bauernopfer: Lichthaus' zweiter Fall (German Edition)

Bauernopfer: Lichthaus' zweiter Fall (German Edition)

Titel: Bauernopfer: Lichthaus' zweiter Fall (German Edition)
Autoren: Paul Walz
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nur, unbeweglich, jedoch so wach wie selten in seinem bisherigen Leben.
    Nur wenige Notlampen beleuchteten dürftig den riesigen Stall. Die Rinder standen in geräumigen Freilaufgehegen, deren Böden mit einer dicken Packung Stroh bedeckt waren. Links die Milchkühe, rechts die Färsen und Kälber, davon abgetrennt die Jungbullen. Kein Tier war angebunden, und jedes konnte so fressen oder sich legen, wie immer es wollte. Der perfekte Stall eines Ökohofs, aber all das beachtete der nächtliche Besucher nicht. Er kannte sich hier aus, war schon oft in den Hof eingedrungen. Die Umgebung gefiel ihm in der Nacht. Die Kühe streckten noch vereinzelt die Köpfe zwischen die Fressgitter der Boxen hindurch und muffelten an der ausgestreuten Silage, während andere gemütlich dalagen und träge wiederkäuten. Eine Atmosphäre voller Zufriedenheit, wären da nicht weiter hinten die paar Schweine gewesen, die sich laut quiekend um den besten Platz am Koben stritten. Doch schnell trat wieder Ruhe eine, die gelegentlich durch das sanfte Rascheln des Heus oder eine stampfende Bewegung durchbrochen wurde. Die Tiere waren ruhig geblieben, als er durch den Schlupf geschlichen war, den die Rinder nutzten, um in das Freigehege zu gelangen. Sie waren die Nähe vieler Besucher gewohnt, die sich im Laufe des Tages durch den Vorzeigestall drückten. Eben hatte er den Schnappverschluss eines der Gattertore gelöst, die den Mittelgang von den Boxen trennten, das Gatter jedoch geschlossen gelassen, um die Viecher nicht zu animieren, nachts spazieren zu gehen.
    Drüben im Haus brannte Licht, und er konnte in die menschenleere Küche blicken. Ein schmuckloser Raum mit einer Einrichtung aus den Achtzigerjahren. Dunkelbraune Einbauküche mit neobarocken Türen, dazwischen ein lindgrüner Fliesenspiegel. Unfassbar hässlich. Auf dem Tisch, von einer nackten Neonleuchte flimmernd beschienen, standen die Reste des Abendbrots achtlos herum. Auf dem einzigen Teller trocknete ein angebissenes Käsebrot vor sich hin, während in einem Glas Bier schal wurde. Seine Uhr zeigte sieben vor neun. Seine Zeit war fast gekommen. Ein Gatter ratterte laut, und er zuckte heftig zusammen, aber es war nur ein Rind, das sich an den Eisenstäben rieb und mit dem Horn dagegenstieß.
    Langsam ließ er den Atem aus seinen Lungen entweichen, lehnte sich zurück und sog tief den Stallgeruch ein, der die von Tierleibern erwärmte Luft erfüllte. Er liebte es, das Gemisch aus Heu und Stroh, Tier und Dung. Es erinnerte ihn an seine Kindheit, an Tage, die schöner gewesen waren als die Gegenwart. Ihm kam es so vor, als ob die Sonne damals heller vom Himmel geschienen hätte. In jeden neuen Morgen war er voller Erwartungen und Hoffnungen gestartet, die sich jedoch nie erfüllten. Die Erinnerung an sein letztes Lachen schien aus einer anderen Zeit zu stammen, verblasste bereits, und heftige Traurigkeit überkam ihn wie so oft. Vergilbte Bilder aus der Vergangenheit und der Schrecken des Jetzt begannen sein Bewusstsein zu überfluten. Jetzt nur nicht darin versinken. Er straffte sich, riss sich zusammen und drängte die Depression zurück. In dieser Nacht würde er Gerechtigkeit fordern und damit beginnen, das Gleichgewicht wiederherzustellen. Rache nehmen für die Talfahrt seines Hierseins.
    Ins Karree des Küchenfensters kam Leben. Dürr wie eine Vogelscheuche und völlig abgehärmt tauchte eine Frau auf, schmuddelig anzusehen. Auch hier ein Ritus. Der Kühlschrank wurde aufgezogen, eine Flasche herausgenommen und das Wasserglas mit Wodka gefüllt. Die fließende Bewegung einer Gewohnheitstrinkerin, und leer war das Glas. Unbeweglich verharrte sie einen Augenblick und wartete darauf, dass sich das sanfte Wohlsein der Droge in alle Poren verteilte. »Das Klicken«, wie es Paul Newman einst in der Verfilmung von Williams’ »Die Katze auf dem heißen Blechdach« genannt hatte. Die Augen halb geschlossen stand sie so einige Sekunden, kippte das zweite Glas und trollte sich samt Schnapsflasche leicht unsicheren Fußes in Richtung Wohnzimmer, aus dem das unstete Flimmern des Fernsehers zu sehen war. Sie spürte jetzt schon kaum mehr etwas, und in nicht einmal einer Stunde würde sie hinüber sein. Die polnische Hilfe würde später auftauchen, so gegen elf verließ sie immer ihre Bude über dem Laden, und sie schließlich ins Bett schaffen. So wie jeden Abend. Nur war heute Abend nicht wie jeder Abend.
    Kurz darauf kamen schlurfende Schritte vom Hof herüber und machten sich direkt
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