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Muschelseide

Muschelseide

Titel: Muschelseide
Autoren: Federica de Cesco
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Politiker, manisch konservativ und zugeknöpft klerikal. 1962 hatte er an der neuen Verfassung mitgewirkt, die Malta zum unabhängigen Mitglied des Commonwealth of Nations erklärte. Die Proklamation der Republik Malta 1974 und die Kündigung des Truppenstationierungsvertrags mit Großbritannien hatte er voller Genugtuung erlebt, bevor sein Gehirn verkalkte.
    Ich sagte zu Francesca:
    »Er wurde fast hundert Jahre alt. Am Ende war er vollkommen gaga.«
    »Er soll verflucht sein«, erwiderte sie. »Und tausend Jahre in der Hölle braten.«
    Sie saß neben mir, kerzengerade, den Blick auf die beleuchteten Straßen und Bauwerke gerichtet. Es waren Fassaden aus verschiedenen Stilepochen, neu aufgebaut und harmonisch zusammengefügt. Francesca roch nach Zigaretten, nach irgend einem Parfüm auch, Ambra und Lebkuchen. Ein etwas aufdringlicher Duft, warm und geheimnisvoll und wie für sie gemacht.
    »Ich kann mir kaum vorstellen«, meinte sie nach einer Weile, »dass im Krieg hier alles zerstört war. «
    »Das kann keiner, der es nicht miterlebt hat. « Ricardo war sichtlich froh, dass das Gespräch eine andere Wendung nahm. »Der Wiederaufbau dauerte fast zehn Jahre. Die Briten gaben uns so viel Geld und präzise Bauvorstellungen, sodass wir sorgfältig vorgehen konnten. Hochhäuser wirst du hier kaum antreffen, und selbst bei Neubauten berücksichtigen wir die Tradition. «
    Sie machte ein gleichgültiges Gesicht, aber sie hörte zu.
    »Im Übrigen habe ich den Eindruck, dass es euch nicht schlecht geht.«
    Ricardo widersprach nicht.
    »Wir haben noch Defizite in der Handelsbilanz, aber die Touristen bringen Devisen, und die Sache gleicht sich aus.« Ich sagte zu Francesca:
    »Warum bist du nicht schon früher gekommen?«
    Sie drehte leicht den Kopf zu mir hin.
    »Glaubst du, ich wollte wieder in die Zange?«
    Weil wir in der Fußgängerzone lebten und vor unserem Haus nur Zubringerdienst gestattet war, stellten wir die Koffer vor die Tür, bevor ich den Wagen in die Garage fuhr. Als ich zurückkam, war Domenica dabei, das Gepäck in die zweite Etage zu schleppen. Sie hatte Francesca umarmt und geküsst und schien glücklich, dass sie da war.
    »Erstaunlich, wie rüstig sie noch ist«, sagte Francesca zu mir. »Und sie sieht doch recht gut aus. Warum hat sie nie einen Mann gefunden?«
    »Wahrscheinlich hat sie nie einen gesucht«, sagte ich. »Schade. Eine stumme Frau muss manchen Männern doch gefallen.«
    Ihre Augen waren ständig in Bewegung, als wollte sie jeden Gegenstand in diesem Haus, in dem sie einst gelebt hatte, mit den Blicken einfangen. Domenica hatte das Zimmer gelüftet, das Bett überzogen, die Näh- und Bügelmaschine entfernt. Sie war schon dabei, die Koffer auszupacken. Francesca brauchte sich um nichts zu kümmern. Domenica schien genau zu wissen, wo die Dinge hingehörten, wie die Kleider aufgehängt, die Pullover gefaltet werden mussten. Auch das Badezimmer war erleuchtet, die Ventilation summte, frische Handtücher hingen bereit. Francesca warf einen Blick in den schlauchartigen Raum und schüttelte den Kopf.
    »Grüne Kacheln! Wer hat diese Farbe ausgesucht? Doch sicher Ricardo? «
    Mir kam in Erinnerung, dass es tatsächlich stimmte.
    »Ich bin für Grün«, hatte er damals gesagt. »Grün wie Wasser, das passt zu jedem Badezimmer.«
    Meiner Mutter hätte Weiß besser gefallen. Sie meinte, dass sich keine Frau in einem grünen Badezimmer zurechtmachen konnte. Aber Ricardo hatte den Marmor schon bestellt. Eine Versteigerung, die Fliesen waren günstig zu haben.
    »Geizig wie sein Vater«, zischte Francesca. »Marina wird ihn bald satt gehabt haben.«
    Das war so falsch, dass ich es ihr sagen musste.
    »Nein. Sie waren sehr glücklich miteinander. Und als meine Mutter starb, hatte Ricardo einen Schlaganfall.«
    Sie wandte sich ab und sagte über ihre Schulter hinweg: »Kein Mann erträgt es, wenn die Frau zuerst geht. Und ich meine jetzt nicht nur in den Tod.«
    Sie teilte ihre Hiebe aus, wie Großvater einst mit der Peitsche. Aber ich nahm ihr die Worte nicht übel, vielmehr spürte ich dahinter die Erinnerungen, die im Alter wiederkehrten und schmerzten.
    Wir trafen uns eine Stunde später ein Stockwerk tiefer zum Abendessen. Ich bemerkte, dass Francesca sich neu geschminkt und ein anderes Kleid angezogen hatte, himbeerfarben, aus zerknitterter Rohseide. Sie trug noch den gleichen Schal, der im wechselnden Spiel des aufgefangenen Lichts nicht mehr golden, sondern grün-rosa schimmerte. Ihre
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