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Das Tibetprojekt

Titel: Das Tibetprojekt
Autoren: Tom Kahn
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|7| Prolog
    Ein eiskalter Wind trieb den Schnee durch die Nacht. Schritte eines Menschen, der um sein Leben rannte, hallten durch das
     uralte Kloster. Doch jedes Geräusch verlor sich draußen, in der Weite des tibetischen Hochlands. Die tödliche Kälte durchdrang
     alles. Mit weit aufgerissenen Augen lief der Professor durch die düsteren Gänge, stürzte in die Gompa, den Meditationsraum,
     und warf sich erschöpft auf den Boden.
    »Die alten Dämonen   ... sie leben!«, schrie er, an der Grenze zum Wahnsinn. »Nirgendwo sind wir in Sicherheit.« Er sprang wieder auf, rang nach
     Luft und blickte verzweifelt um sich. Die Höhenluft war so dünn, dass er kaum atmen konnte.
    Es gab für ihn keine Fluchtmöglichkeit mehr. Und keinen Schutz. Nur gleichgültige, kalte Mauern, die schon viel erlebt hatten.
    Sehr viel.
    Sein Körper war schwach und hatte sich schon längst aufgegeben. Er torkelte umher, stützte sich an der Wand ab. Die Gedanken
     wurden wirr. Sein verstörtes Gesicht war Ausdruck einer Seele, die das Grauen gesehen hatte. Das archaische Grauen der Menschheit.
    Die Geschichte muss neu geschrieben werden!
    Die Tür wurde aufgetreten, und er erkannte die Umrisse |8| seines Verfolgers. »Die Kamera!«, zischte der Mann.
    »Nein, dieses Wissen gehört allen Menschen!«
    Der Verfolger kam langsam näher und schob die rechte Hand in seinen Umhang. Wie gelähmt sah der Professor zu, wie der andere
     die Faust hob, in der ein ritueller Tempeldolch aufblitzte. Als die Waffe eine Sekunde in der Luft verharrte, vor dem Stoß,
     gefror ihm das Blut in den Adern.
    Mein Gott, das Zeichen! Das Yungdrung!
    Das war das letzte, was er von dieser Welt sah. Als das kalte Schlachtmesser in seine Brust drang, ließen seine Hände die
     Kamera fallen und er sackte in sich zusammen. Der Verfolger entriss ihm den Apparat. Dann schulterte er den Schwerverletzten
     und verschwand mit ihm durch eine versteckte Tür.
Sie haben sogar den Geheimgang gefunden,
dachte sein Opfer. Dann verlor der alte Mann das Bewusstsein.
    Nach einigen Minuten – oder waren es Stunden?– kam er wieder zu sich. An einem unbekannten Platz, der mit Sicherheit nicht
     zum Kloster gehörte. War das eine einsame Bushaltestelle?
Mein Gott, ich verblute.
Der Professor lag am Boden, während sich eine rote Lache unter ihm ausbreitete. Aber sein Gehirn arbeitete noch.
    Die Welt muss die Wahrheit erfahren!
    Wie in Trance tauchte er seinen Finger in die klaffende Wunde, bis er sich rot färbte. Er hatte nur noch wenige Sekunden zu
     leben und spürte den nahenden Tod.
    Was erwartet mich dort?
    Das spielte jetzt keine Rolle mehr. Er hatte etwas ganz anderes am Ende seiner Forschungen und nun seines Lebens gefunden.
     Das durfte nicht verloren gehen. Mit zitternder |9| Hand und am Boden liegend malte er das Zeichen auf seinen Handrücken.
    Hoffentlich verstehen sie es.
    Schließlich brach er zusammen und schloss für immer die Augen. Sein Ego löste sich langsam im ewigen Nichts auf. Ganz so,
     wie es die Philosophie der Alten vorhergesagt hatte. Sein letzter Gedanke galt dem Horror, den er entdeckt hatte. Dem äußeren.
     Und dem inneren.
    Dann kam die große Leere.
    Das Nichts.

|11| Erster Teil
Deutschland
    Dass zu frommen Zwecken die Lüge erlaubt ist, das gehört zur Theorie aller Priesterschaften.
     
    Friedrich Nietzsche

|13| 1
    »No stop sign   ... no speed limit   ...«
Aus den Boxen des Porsche hämmerten AC/DC mit ihrem
Highway to Hell
. Dr.   Decker liebte die gute alte Rockmusik aus seinen rebellischen Jugendtagen, wofür er von seinen akademischen Kollegen oft belächelt
     wurde. Während er den Wagen sicher durch den abendlichen Verkehr steuerte, grölte er den Song gut gelaunt mit. Er konnte nicht
     ahnen, dass er sich in diesem Moment tatsächlich auf einer Fahrt in die Hölle befand.
    Mit quietschenden Reifen und röhrendem Motor bog er seitwärts schleudernd in die Einfahrt vor der ehrwürdigen Alten Oper in
     Frankfurt. Er war spät dran für eine Talk Show, die live im Fernsehen übertragen werden sollte. Einige Passanten sprangen
     erschrocken zur Seite, als sie den dunklen Wagen über den Platz auf sich zurasen sahen. Nach bester französischer Manier bremste
     Decker nicht, sondern hupte nur laut. Elegant driftete er in einer weit gezogenen Kurve über den glatten Boden um den Brunnen.
     Erst kurz vor dem Eingang kam er zum Stehen.
    Der Wagen lauerte wie ein sprungbereites Raubtier in der untergehenden Sonne. Noch im Standgas erfüllte
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