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Muschelseide

Muschelseide

Titel: Muschelseide
Autoren: Federica de Cesco
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Bewegungen waren jugendlich, graziös, ihr Gang jedoch unbeholfen. Früher oder später würden ihr die Treppen zu viel werden. Ich erzählte, dass meine Eltern vorhatten, einen Aufzug einzubauen, aber nichts daraus wurde, weil das Haus schon unter Denkmalschutz stand.
    »Das Gegenteil hätte mich erstaunt.« Francesca sprach herablassend. »Tradition versus Fortschritt. Wie es hier ist, macht mich unruhig; hoffentlich komme ich ohne Schlafmittel aus. Zwanzig Zimmer voller Gespenster!«
    »Gespenster?« Mein Vater hüstelte nervös. »Unter dem Banner des heiligen Johannes gibt es keine Gespenster.«
    Sie standen sich Auge in Auge gegenüber, und Francesca lächelte grimmig.
    »Der heilige Johannes, ach ja, der Spiegel aller Tugenden. Der mischte sich nie in meine persönlichen Angelegenheiten. New York war nicht sein Revier. Aber die Gespenster, die wurde ich erst los, als sie eines Tages husch, husch von selbst verschwanden. Ich dachte, die kommen nie wieder, aber sie sind noch hier. Ein ganz anständiger Topf voll, würde ich meinen...«
    Ricardo rieb sich die Stirn.
    »Ich kann dir nicht folgen, Francesca. Worüber redest du eigentlich?«
    »Von Gespenstern. Hörst du sie nie klopfen und klirren und quietschen, als ob ein Ferkel schreit? Siehst du nicht, wie sie mit dem Blut und dem Schweiß aus jedem Gemälde tropfen? Hast du den Ahnen nie ins Gesicht gespuckt? Für mich war es ein ungeheures Vergnügen damals, ich war stets bemüht, es so gut wie möglich zu machen, bemüht, bis mir der Mund austrocknete...«
    Ich hörte, was sie sagte, und empfand fast freundschaftlich für sie, weil sie das getan hatte. Ich wagte nicht, sie anzusehen, merkte aber wohl, dass ich zitterte. Die Luft war schwer, angefüllt durch Francescas Gegenwart. Ich merkte, wie Ricardo immer mehr in sich zusammensackte. Diese Frau glänzte, leuchtete so heftig, dass es wirklichen Schmerz bereitete, sie zu ertragen. Sie hielt eine Zigarettenspitze in der Hand und rauchte, obwohl ihr der Arzt – wie sie mir später gestand – das Rauchen verboten hatte.
    »Hörst du eigentlich, was ich sage, Ricardo? « Sie blickte ihn unter ihren schwarzen Augenbrauen zornig an. »Sitzt du immer noch auf deinem hohen Ross? Bist du jemals glücklich gewesen in deinem wurmstichigen Panoptikum?«
    »Ob ich jemals glücklich war? «, wiederholte mein Vater einfältig. Francescas Brutalität zerrte ihn aus seiner Verschlossenheit, zwang ihn zum Verzicht auf gewohnte Redewendungen, die das Denken vereinfachten, es brauchbar machten zur Selbstberuhigung.
    »Als Marina noch lebte, war vieles anders ... «
    Die Worte stiegen mühsam an die Oberfläche seines Bewusstseins, wurden ausgesprochen, um etwas zu ersticken, das er nicht wahrhaben wollte. Schwerfällig trat er auf das Barschränkchen zu, das im Hintergrund des Raumes stand.
    »Whisky?«
    Sie nickte kühl. Er machte sich an der Bar zu schaffen und reichte ihr das Getränk. Francesca näherte das Glas ihrer fein geformten Nase und atmete den Duft des Whiskys ein.
    »Oh, der ist schön stark!«
    »Auf dein Wohl«, sagte Ricardo.
    Er war in eine Art Trance verfallen, dachte offenbar, sie würde ihn jetzt in Ruhe lassen, doch sie ließ nicht locker. »Ganz ehrlich, Ricardo, ich habe oft überlegt, wie du dich fühlen musst. Möglich, dass du dich im Haus nicht mehr zurechtfindest, oder?«
    Mein Vater verzog krampfhaft den Mund.
    »Ich kann nichts dazu sagen, entschuldige. Ich hatte noch keine Zeit, darüber nachzudenken.«
    Francesca kam daher wie ein Erdbeben oder wie eine Springflut. Sie war nicht unbedingt ein ungebetener Gast, aber ihre Anwesenheit versetzte ihn in Schrecken. Er hatte sogar verlernt, wie man Cocktails mixt: Mein rosa Gin war viel zu stark. »Was tust du denn den ganzen Tag?«, konterte sie gehässig. »Ich ... ich ordne Papiere. Und ich lese und spiele Schach.« »Nun, ich hoffe, dass du mit deinem Leben zufrieden bist.« Ricardo trank Whisky mit viel Sodawasser, aber er trank ihn
    schnell. Auf seinen Wangen zeigten sich bereits rote Flecken. »Vermutlich lebt man besser, wenn man auf etwas wartet...«
    Auf Francescas Gesicht erschien ein doppeldeutiger Ausdruck von Mitgefühl und Bosheit.
    »Und worauf wartest du, Ricardo? Nun sag es doch endlich! «
    »Auf nichts«, antwortete er halblaut. »Die Familie ist unter der Erde oder in alle Winde verstreut. Willst du unser fin de règne als Zuschauerin erleben, bist du genau im richtigen Augenblick gekommen.«
    Sie betrachtete ihn über ihr Glas
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