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Muschelseide

Muschelseide

Titel: Muschelseide
Autoren: Federica de Cesco
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Vater. Es klang, als ob er sich entschuldigte. Sie nickte.
    »Ja, das habe ich mir ausgerechnet.«
    Ihr glitzernder Vogelblick starrte mich unentwegt an.
    »Und wer bist du? Meine Großnichte, nehme ich an?«
    »Meine jüngste Tochter, Beata«, stellte mich Ricardo vor, während ich ihr zulächelte. »Georges, mein Ältester, ist in London mit Alice verheiratet. Sie besuchen mich manchmal und bringen ihre Kinder mit. Ich bin inzwischen Großvater«, setzte er hinzu, als ob er keine richtige Lust hatte, zu sprechen.
    »Du hast mir die Bilder geschickt«, erwiderte sie trocken. »Für Nachwuchs ist also gesorgt.«
    Sie stand einfach vor mir und musterte mich von den Füßen bis zum Kopf, über ihren Blick konnte ich mir nicht klar werden. Sie betrachtete mich zwar interessiert und abschätzend, aber gleichzeitig auch mit Sympathie. Schließlich sagte sie:
    »Du siehst wie meine Mutter aus.«
    Darauf erwiderte ich nicht gleich etwas. Ich war überrascht und hatte Mühe, ihr zu sagen, weshalb.
    »Aber das stimmt doch nicht«, meinte Ricardo.
    Sie sah ihn an, flüchtig und gleichgültig.
    »Wie willst du das beurteilen?«
    Ich schluckte und sagte:
    »Du meinst das kleine Mädchen im Tenniskleid, auf dem Bild in deinem Zimmer?«
    Sie zog die Mundwinkel hoch wie ein Mensch, der lächelt, doch sie lächelte nicht.
    »Als sie mich zur Welt brachte, war sie kein kleines Mädchen mehr.«
    »Hast du noch andere Bilder von ihr?«
    Sie überhörte die Frage. Das ärgerte mich. Ich war es nicht gewöhnt, dass man meine Fragen unbeantwortet ließ. Aus der Nähe gesehen, zeigte ihr Gesicht deutlich die Spuren des Alters: die Haut, blass vor Müdigkeit unter dem Wangenrouge, die spärlichen Brauen, schwarz nachgezogen, die spröden Lippen. Das Weiß ihrer Augen war ungewöhnlich gerötet. Ein goldschimmernder Schal, mit unbestimmtem Muster, war drei- oder viermal um ihren runzeligen Hals geschlungen. Wir gingen zum Wagen, und ich half ihr, das Gepäck einzuladen. Sie hatte recht schwere Koffer und eine Anzahl fest verschnürter Schachteln bei sich. Durch den Zoll war sie problemlos gekommen.
    »Der Beamte hat in meinem Pass geblättert und mir einen guten Aufenthalt gewünscht, das war’s schon. Ein sympathischer Mann, groß gewachsen. Die Malteser sehen besser aus als früher.«
    »Wir essen zu viel«, erwiderte ich, wobei sie mich ansah, als ob sie an meinem Humor zweifelte. Inzwischen half ich ihr in den Wagen. Sie war agil, viel agiler jedenfalls als mein Vater, der sich nur noch im Zeitlupentempo bewegte. Ich bot ihr den Vordersitz an, während Ricardo hinten Platz nahm.
    »Wo werde ich wohnen?«, fragte sie, als ich den Schlüssel ins Zündschloss steckte.
    » Domenica hat dein Zimmer hergerichtet.«
    » Domenica? «
    » Paolas Tochter.«
    »Ach so. Und was ist aus Paola geworden?
    »Sie ist schon lange tot.«
    »Ach, die Toten«, murmelte Francesca. »Sie finden immer mehr Platz in meiner Erinnerung.«
    Eine Frage des Alters nahm ich an. Im Gegensatz zu ihr hatte ich die Toten satt. Ich erzählte weiter.
    » Domenica hat einen Sprachfehler. Das Zungenbändchen. Du wirst dich an sie gewöhnen müssen.«
    »Ich gewöhne mich an alles«, sagte Francesca. »Konnte sie nicht operiert werden?«
    »Ihre Familie hatte wohl nicht das Geld«, sagte Ricardo. »Und meine Eltern, du weißt ja, wie sie waren ...«
    »Geizkragen, was denn sonst?« Sie zuckte mit den Schultern. »Hast du die Großeltern eigentlich gekannt?«, fragte sie mich.
    Da waren sie wieder, die Toten.
    »Großmutter lebte schon nicht mehr. Ich weiß nur noch, dass Großvater zwei Doggen hatte. Parierten sie nicht aufs Wort, schlug er sie mit einer Peitsche. Sie krochen winselnd unter die Tische, ich schrie wie am Spieß, es war ziemlich abscheulich.«
    »James hatte die Peitsche aus Rhodesien mitgebracht«, sagte Francesca kalt. »Sie war aus Rhinozerosleder und hing an der Armlehne seines Sessels. Stets griffbereit. James schlug nicht nur Hunde, das kann ich dir versichern. Das Leder war hart geworden von getrocknetem Blut.«
    »Kaum bist du da, erzählst du deine Schauergeschichten«, seufzte Ricardo. Er redete ein wenig im Ton der Zurechtweisung. Sie sah ihn kurz im Rückspiegel an.
    »Nein. Dazu fehlt mir die Phantasie. Was ist aus der Peitsche geworden, Ricardo? «
    »Ich glaube, dass Marina sie weggeworfen hat«, erwiderte er unbehaglich.
    Großvater James, der ein erbliches Ministeramt auf Lebenszeit bekleidet hatte, galt bei seinen Zeitgenossen als schlauer
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