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Muschelseide

Muschelseide

Titel: Muschelseide
Autoren: Federica de Cesco
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Gesicht blieb bei aller Freundlichkeit kühl. Ich wusste, sie trug diese Wunde in sich, deckte sie mit Rot zu, damit man das Blut nicht sah. Ich ahnte ihr müdes Nichtvorhandensein unter dem aufgesetzten Hochmut, der schillernden Arroganz. Langsam, beharrlich, schoben wir uns ihr entgegen. Sie redete, warf ab und zu mit leichtem, zynischem Lachen den Kopf zurück. Doch plötzlich erstarb ihr Lachen. Die schwarz umrandeten Augen richteten sich auf uns. Wir traten auf sie zu, diese paar Schritte, die Schritte durch ein Jahrhundert waren.
    »Ich habe euch nicht mehr erwartet«, sagte sie kalt.
    »Es tut mir leid«, sagte ich, »das Flugzeug hatte Verspätung.«
    Ihre Augen schweiften zu Kazuo hinüber.
    »Nun? Was haben Sie herausgefunden?«
    So oft war sie schon enttäuscht worden, dass diese Enttäuschung sie ganz erfüllte. Sie nahm sie in Kauf, hatte sie doch ausreichend Zeit gehabt, mit ihr zu leben.
    »Wir haben dir etwas mitgebracht«, sagte ich.
    Ihre Augen wurden starr, weiteten sich, als sie sah, wie ich meine Beuteltasche öffnete, wie ich ein kleines, längliches Holzkästchen hervorzog. In diesem Augenblick trat ein Mann an Francesca heran, ein wichtiger Mann gewiss, gut gekleidet, der vielleicht ein Bild kaufen wollte. Doch sie hob lediglich die Hand. Es war eine höfliche Geste und gleichwohl ein Befehl. Der Mann murmelte eine Entschuldigung, zog sich zurück. Ich indessen öffnete das Kästchen, entnahm ihm ein Tuch, das ich mit leichter Geste in die Luft warf. Für den Bruchteil einer Sekunde schwebte das Tuch empor. Die Muschelseide zeigte ihre Regenbogenfarben, bevor sie sich auf Francescas Schultern senkte, das Rot ihres Kleides unter Türkis und Grün verschleiernd, einer kristallklaren Welle gleich, die über Blut hinwegzog, es unter ihrem Leuchten verbarg. Francesca stand starr; es war, als ob alles in ihr stockte, als ob ihr Herzschlag ausgesetzt hätte. Dann plötzlich kam wieder Leben in sie. Und es gelang mir nicht mehr, auf ihrem Gesicht auch nur den Anflug von Kummer oder Zorn zu lesen. Im Gegenteil, es schien, dass irgendein Zauber auf diesem harten Antlitz langsam jeden Hochmut auslöschte. Ihre Augen waren weit geöffnet und schauten mich strahlend, voller Frieden an. Und ihr Mund, der mir eben noch so verkniffen vorgekommen war, drückte durch ein kaum merkbares Lächeln so viel Dankbarkeit, Zuneigung und Glück aus, dass ich in ihren Zügen das fast kindliche Lächeln zu erkennen glaubte, das auch Cecilia im Gesicht trug, als Gaetano sie auf den Tennisplatz fotografiert hatte.
    Doch schon bewegte sich Francesca, zog die Seide mit fast besitzergreifender Geste enger über die Schultern.
    »Danke«, sagte sie knapp, wobei ihre Stimme ein wenig zitterte. »Wir reden später darüber.« Und sie setzte hinzu: »Findest du nicht auch, dass die Farben gut zu den Bildern passen?«
    Sie wies mit unbestimmter Geste über ihre Schulter hinweg. Ich blickte unwillkürlich in diese Richtung, und die Antwort blieb mir in der Kehle stecken, denn ich sah in der Menschenmenge eine Frau, die eine Faldetta trug. Mein Atem setzte aus. Das kann nicht sein, dachte ich, das kann einfach nicht sein. Ich sah die Frau nur von hinten, sie bewegte sich völlig gelassen, blieb ab und zu vor einem Gemälde stehen, als ob sie zu den geladenen Gästen gehörte. Aber warum hatte sie den Schleier über den Kopf gezogen, hier in der Galerie, wo man unter den grellen Spotlights vor Hitze fast erstickte? Dann sah ich, wie sie langsam dem Eingang entgegen wanderte, und packte Kazuos Arm.
    »Da, siehst du sie?«
    Er sah mich entgeistert an, als ob er die Worte nicht verstanden hätte. Ich ließ Kazuos Arm los, bahnte mir einen Weg durch die Menge, stieß unhöflich Unbekannte auf die Seite, sie gar nicht mehr sehend, überhaupt kein Gesicht erkennend.
    » Cecilia! «, rief ich laut. » Cecilia, warte!«
    Einige Leute drehten sich nach mir um, ich beachtete sie nicht. Die Frau stand bereits unten vor der Treppe. Sie drehte mir leicht das Gesicht zu, schlug den Schleier ein wenig zurück. Ich sah einen Kranz bronzebrauner Locken, ein helles Antlitz, mit einem schwebenden Lächeln auf dem Mund. Sie neigte graziös den Kopf, legte kurz den Finger auf die Lippen, als ob wir ein Geheimnis teilten, das sie bewahrt haben wollte. Dann zog sie den dunklen Schleier wieder mit ruhiger Bewegung über den Kopf. Da kamen Leute lachend und lärmend die Treppe herunter, und für einen Atemzug verlor ich sie aus den Augen. Und als die Besucher
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