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Muschelseide

Muschelseide

Titel: Muschelseide
Autoren: Federica de Cesco
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berührte dich. Deine Hände arbeiteten unentwegt, ganz wie von selbst. Vollkommene Kunst hat immer etwas Selbstständiges an sich, deckt sich mit dem, was wir empfinden.
    Der Nachmittag ging zur Neige, das Licht veränderte sich, Kaori schien es nicht zu bemerken. Schon hatte Hiroko die Lampen angezündet, als die junge Frau lächelnd den Kopf hob.
    »Fertig!«
    Sie breitete das Tuch auf der Tatamimatte aus. Jede Geste war ohne Hast und vollendet sicher. Dann beugte sie sich leicht nach hinten, damit wir besser sehen konnten. Auf dem gelblichen Hintergrund der Reisstrohmatte schimmerte unversehrt der Seestern, er schien leicht zu schweben wie auf sandigem Grund. Eine Weile herrschte Schweigen im Raum. Dann streckte mir Hiroko beide Hände entgegen. Unsere Hände verschränkten sich zu einem warmen, lebenden Band. Leise sagte sie:
    »Unser Altarschrein wird jetzt sehr leer sein, aber das Tuch gehört uns nicht mehr. Es gehört Saburos und Cecilias Tochter. Sie wird bestimmen, wer es nach ihr haben soll.«
    Sie zog mich an ihre Brust; wir umarmten uns lange. Dann wandte ich mich Kaori zu, die nach wie vor still auf der Matte kniete.
    »Ich bin tief bewegt, Kaori. Mir fehlen die Worte. Du hast eine wundervolle Arbeit geleistet.«
    Sie verneigte sich, verbarg ihre Freude. Ihr dunkel glänzendes Haar fiel nach vorn, bedeckte ihr errötendes Gesicht.
    »Vielen Dank«, sagte sie. »Wie kommt man eigentlich nach Gozo? «

38. Kapitel
    I n der sinkenden Sonne erschien Valletta in heißes, staubiges Gold getaucht. Wie in einer Theaterdekoration hoben sich Kirchtürme, Kuppeln und Paläste am diesigen Himmel ab. Kazuo und ich hatten bei der Zwischenlandung in Zürich viel Zeit verloren, das Flugzeug war mit Verspätung gestartet. Um sechs fand Francescas Vernissage statt. Wir hatten ihr versprochen, da zu sein. Kämen wir nicht rechtzeitig, würde sie es uns nachtragen. Doch im Stoßverkehr benötigten wir eine Stunde, um vom Flughafen in die Innenstadt zu gelangen. Uns blieb kaum Zeit, eine Dusche zu nehmen, die Kleider zu wechseln. Kazuo und ich hatten Kopfschmerzen. Die Zeitverschiebung – diesmal in entgegengesetzter Richtung – machte uns träge und unfähig, zu denken. Wir strengten uns an, das Schlafbedürfnis abzuschütteln, das uns immer wieder umfing. Die Müdigkeit war zermürbend. Wir hatten zu viel gesehen, zu viel empfunden, jedes Erlebnis hatte neues Herzklopfen gebracht. Es war eine Wanderung zwischen den Welten gewesen, zwischen gestern und morgen. Doch die ganze Aufregung erwies sich letztlich als unbegründet, denn als wir im Saint James Cavaliers Center eintrafen, war die Galerie noch brechend voll. Von dem alten Herrenhaus hatte man den Eindruck von Überfülle und Wuchtigkeit bewahrt, während die Galerie neuzeitlich und schick war. Für ihre Bilder hätte Francesca keinen eindrucksvolleren Rahmen finden können als das weiß getünchte, hell erleuchtete Kellergewölbe. Alles, was in Valletta zur Künstlerszene gehörte, war anwesend. Ich begrüßte weitläufige Verwandte und enge Freunde, stellte Kazuo vor. Der Champagner, den wir tranken, machte alles viel leichter. Mein Vater kam auf uns zu, sehr elegant in seinem englischen Anzug, der schon einige Jahre alt war. Sein Gesicht leuchtete auf, als er Kazuo erblickte. Er hatte nicht erwartet, dass er mit mir aus Tokio zurückkehren würde.
    »Schön, dass Sie wieder da sind«, sagte er, und schüttelte ihm die Hand. Kazuo blinzelte ihm zu.
    »Ich wollte doch wieder Schach mit Ihnen spielen.« Ricardo lachte, was bei ihm selten vorkam. Er wirkte spürbar verjüngt.
    »Denken Sie ja nicht, dass Sie mich schlagen werden.« »Wo ist Francesca?«, fragte ich.
    Ricardo deutete in eine Richtung, doch ich sah nur eine Gruppe von Besuchern, die uns den Weg versperrte. Wir zwängten uns mit Mühe durch das dichte Gedränge. Müdigkeit hatte verschiedene Wirkungen; es kam vor, dass man alles ungetrübt, überdeutlich sah, glasklar. Auf diese Weise erblickte ich jetzt Francesca. Sie war völlig in ihrem Element. Rot gekleidet, gebieterisch wie eine Fürstin, ging sie zwischen ihren Gästen umher, gab Erklärungen, hob ihre Zigarettenspitze an den Mund. Ihr Knoten war straff nach hinten gekämmt, und sie trug ihren silbernen Pfeil im Haar, der eindeutig aus Japan kam. Sie war in ihrer ganzen Erscheinung – ich suchte nach dem treffenden Wort – ungewöhnlich, ja, das war sie. Ich hatte nie einen Menschen gekannt, der mit ihr vergleichbar gewesen wäre. Doch ihr
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