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Der Sommer der Frauen

Der Sommer der Frauen

Titel: Der Sommer der Frauen
Autoren: Mia March
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    PROLOG Lolly Weller
    Fünfzehn Jahre zuvor
    Neujahrstag, 02 : 30 Uhr
    Das Three Captains’ Inn, Boothbay Harbor, Maine
    I m Fernsehen lief
Silkwood
. Es spielten Lollys Lieblingsschauspielerin Meryl Streep mit der gleichen Vokuhila-Frisur, wie Lolly sie als Teenager gehabt hatte, und Cher, in Lollys Augen eine unglaublich leidenschaftliche Frau. Lolly wurde ebenfalls als
leidenschaftlich
bezeichnet, vorzugsweise von ihrer Schwester, obwohl sie sich selbst überhaupt nicht leidenschaftlich fand. Es gab ein anderes Adjektiv, das Lolly besser beschrieb, und wäre sie katholisch gewesen, müsste sie täglich zur Beichte gehen – und zwar zweimal.
    Nach dem ersten Anruf in dieser Nacht tat Lolly etwas, das sie für den Rest ihres Lebens nicht mehr loslassen, das sie sich nie wieder verzeihen würde. Um kurz nach zwei Uhr morgens hatte ihre Schwester Allie angerufen, fröhlich und beschwipst. Sie rief von der Silvesterparty im Boothbay Resort Hotel an und beschrieb, ausgelassen in den Hörer prustend, wie ihr Ehemann mitten in der schicken Lobby stand und tanzte wie John Travolta in
Pulp Fiction
. Sie hätten jeder vier oder fünf Gläser Champagner getrunken, und ob Lolly oder ihr Mann sie bitte abholen könnten? Das Boothbay Resort Hotel lag nur fünf Minuten entfernt.
    Fünf Minuten hin. Fünf Minuten, um die beiden nach Hause zu bringen und sicher in ihre Wohnung zu bugsieren. Fünf Minuten zurück. Machte fünfzehn gestohlene, kostbare Minuten für Lolly. Also hatte sie Ted, ihren Ehemann, gebeten, zu fahren, der zwar etwas von «dämlichen Suffköppen» vor sich hinmurrte, aber trotzdem den Parka überzog und losfuhr, um die Nashes abzuholen.
    Lolly sah kurz nach den Mädchen. Weil ihre Silvesterpläne lediglich darin bestanden, die Pensionsgäste im Three Captains’ Inn mit Papiertröten und einem Glas Champagner aufs Haus zu versorgen, hatten Lolly und Ted sich bereiterklärt, über Nacht auf ihre Nichten aufzupassen. Auf Zehenspitzen schlich Lolly vom zweiten Stock der Pension hinunter in den ersten und öffnete leise die Tür zu der Kammer, wo sie den Staubsauger und die Putzutensilien aufbewahrte. Wie immer, wenn die sechzehnjährige Isabel hier übernachtete, hatte diese sich Matratze, Kissen und Zudecke in die winzige Kammer gezerrt. Sie schlief tief und fest, das hübsche Gesicht so friedlich, dass man nicht glauben mochte, welches Gebrüll und was für unflätige Ausdrücke aus diesem unschuldigen Mund kommen konnten. Isabel war selbst erst vor einer Stunde zurückgekommen, um halb zwei, trotz des von ihrer Mutter auferlegten strikten Limits um halb eins und trotz des fürchterlichen Streits zwischen beiden am frühen Abend, ehe jede von ihnen ihrer Wege gegangen war, um Silvester zu feiern. Lolly zog Isabel die Daunendecke über die Schultern und entdeckte dabei einen frischen Knutschfleck am Hals. Wenn das ihr Vater sah!
    Zurück unterm Dach sah Lolly nach den beiden jüngeren Mädchen, ihrer dreizehn Jahre alten Nichte June und ihrer zehnjährigen Tochter Kat. Der kleine Raum gegenüber dem Schlafzimmer von Lolly und Ted war kaum groß genug für ein Bett, von den beiden Zustellbetten ganz zu schweigen, die Ted für Isabel und June noch mit hineingequetscht hatte, doch das Three Captains’ Inn war über Neujahr vollkommen ausgebucht. Junes Brust hob und senkte sich regelmäßig. Darauf lag aufgeschlagen ein Buch,
Jane Eyre
. Der Strahl einer kleinen, roten Taschenlampe beleuchtete Junes Kinn. Lolly knipste die Taschenlampe aus, legte sie mit dem Buch auf den Nachttisch und strich ihrer Nichte eine dicke, braune Locke aus dem Gesicht. June machte nie irgendwelche Schwierigkeiten.
    In dem anderen Bett lag schlafend Kat, ihren alten, geflickten I-Aah unter dem Arm.
    Lolly schlich auf Zehenspitzen zu ihr hin, dankbar, weil ihre Tochter zur Wand gedreht lag. Der Anblick von Kats niedlichem Gesicht, das dem ihres Vaters so glich, hätte ihr womöglich das Herz gebrochen; ein Gefühl, das Lolly in letzter Zeit schrecklich vertraut geworden war. Sie biss sich auf die Lippe, weil die Schuldgefühle ihr einen Magenschwinger versetzten, und schlich aus dem Zimmer.
    Ihr blieben noch etwa zehn Minuten. Sie rannte hinüber ins Schlafzimmer, schloss die Tür und legte sich mit der Fernbedienung und dem Telefon auf dem Bauch ins Bett. Sie schaltete um. Sosehr sie
Silkwood
liebte, sie hatte den Film schon mindestens zehnmal gesehen, das letzte Mal erst vor ein paar Monaten. Eilig zappte sie
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