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Der magische Pflug

Der magische Pflug

Titel: Der magische Pflug
Autoren: Orson Scott Card
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1. Der Aufseher
    Ich möchte mit meiner Geschichte von Alvins Lehre dort anfangen, wo auch das Unheil seinen Anfang nahm. Dies geschah tief im Süden. Ein Mann war daran beteiligt, dem Alvin niemals begegnet war und dem er in seinem ganzen Leben auch nie begegnen sollte. Und doch war es dieser Mann, der eine Ereigniskette auslöste, die dazu führen sollte, daß Alvin etwas tat, das vom Gesetz als Mord bezeichnet wurde – und zwar am selben Tag, da seine Lehrzeit endete und er von Rechts wegen zum erwachsenen Mann wurde.
    Es war 1811 in einem Ort in Appalachee, bevor Appalachee den ›Vertrag über Entlaufene Sklaven‹ unterzeichnet und sich den Vereinigten Staaten angeschlossen hatte. Dieser Ort lag in der Nähe der Grenze zwischen Appalachee und den Kronkolonien, wo jeder weiße Mann danach strebte, möglichst viele schwarze Sklaven zu besitzen, um sie für sich arbeiten zu lassen.
    Für diese Weißen war die Sklaverei eine Art Alchemie, denn die Weißen entwickelten Möglichkeiten, jeden Schweißtropfen eines schwarzen Mannes zu Gold zu machen und jeden Verzweiflungsschrei, der aus der Kehle einer schwarzen Frau ertönte, in den süßen, reinen Klang einer Silbermünze zu verwandeln, die auf den Tisch des Geldwechslers fiel. An diesem Ort wurden Seelen gekauft und verkauft. Und doch gab es keinen unter ihnen, der begriffen hätte, wie hoch der Preis in Wirklichkeit war, den sie dafür zahlten, andere Menschen zu besitzen.
    Hört mir gut zu, denn ich werde euch nun erzählen, wie die Welt, aus dem Herzen des Cavil Planter betrachtet, aussah. Aber sorgt dafür, daß die Kinder schon schlafen, weil dies jener Teil meiner Geschichte ist, den Kinder nicht hören sollten, denn sie handelt von einem Hunger, den sie nicht recht verstehen werden, und ich möchte nicht, daß diese Geschichte es sie lehrt.
    Cavil Planter war ein gottesfürchtiger Mann, ein Kirchgänger, einer, der seinen Zehnten entrichtete. Sobald seine Sklaven genug Englisch verstanden, daß man sie das Evangelium lehren konnte, wurden sie getauft und bekamen christliche Namen. Planter verbot ihnen, ihre dunklen Künste auszuüben – ja, er gestattete ihnen nicht einmal, auch nur ein Huhn zu schlachten, damit sie nicht aus einem so unschuldigen Akt eine Opferhandlung für irgendeinen abscheulichen Gott machten. Cavil Planter diente dem Herrn auf alle erdenkliche Weise und nach besten Kräften.
    Doch wie wurde dieser Mann für seine Rechtschaffenheit belohnt! Seine Frau Dolores litt unter schrecklichen Schmerzen und Qualen, ihre Handgelenke und Finger verkrümmten sich wie die einer alten Frau. Als sie fünfundzwanzig war, ging sie fast jeden Abend nur noch weinend zu Bett, so daß Cavil es nicht mehr ertragen konnte, mit ihr den Raum zu teilen.
    Er versuchte ihr zu helfen. Kaltwasserpackungen, Heißwasserumschläge, Pulver und Säfte – er gab mehr Geld aus, als er es sich eigentlich leisten konnte, sowohl für jene Scharlatandoktoren mit ihren Abschlüssen von der Universität Camelot, als auch für eine nicht enden wollende Parade von Predigern mit ihren ewigen Gebeten sowie Priestern mit ihren Hokuspokusanrufungen, die er ins Haus holte. All das bewirkte so gut wie nichts. Jede Nacht mußte er daliegen und zuhören, wie sie weinte, bis daraus ein Wimmern wurde, wimmerte, bis ihr Atem wieder regelmäßig ging und sie schließlich nur noch ein leises Seufzen von sich gab, einen schwachen Hauch von Schmerzensäußerung. Das trieb Cavil vor Mitleid und Zorn und Verzweiflung fast in den Wahnsinn. Es schien ihm, als würde er manchmal monatelang keinen Schlaf bekommen: den ganzen Tag arbeiten und dann nachts daliegen und um Erlösung beten. Wenn schon nicht für seine Frau, dann für sich selbst.
    Es war Dolores, die ihm schließlich den Frieden der Nachtruhe bescherte. »Du mußt jeden Tag arbeiten, Cavil, und das kannst du nicht, wenn du keinen Schlaf findest. Ich kann nicht leise sein, und du erträgst es nicht, mein Jammern zu hören. Bitte – schlaf in einem anderen Zimmer.«
    Cavil erbot sich, dennoch zu bleiben. »Ich bin schließlich dein Ehemann, ich gehöre hierher …« Er sagte es zwar, doch sie wußte es besser.
    »Geh«, sagte sie. Sie wurde sogar laut. »Geh!«
    Also ging er und schämte sich ob seiner Erleichterung. In dieser Nacht schlief er ohne Unterbrechung, volle fünf Stunden bis zum Morgengrauen, schlief zum ersten Mal seit Monaten gut, vielleicht seit Jahren – und erhob sich am Morgen, verzehrt von Schuldgefühlen, weil er nicht
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