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Der magische Pflug

Der magische Pflug

Titel: Der magische Pflug
Autoren: Orson Scott Card
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denen,
    die in die Grube fahren.
    Eines Tages im Jahre 1810 wurde dieses Gebet erhört.
    Cavil kniete gerade im Trockenschupppen, der fast völlig leer war, weil die Gerstenernte des Vorjahres schon längst verkauft worden war und die diesjährige noch auf dem Feld grünte. Er hatte im Gebet gerungen, in der Beichte und in dunklen Vorstellungen, als er schließlich ausrief: »Ist denn niemand da, mein Gebet zu erhören?«
    »Oh, ich höre dich durchaus«, erwiderte eine strenge Stimme.
    Zuerst war Cavil entsetzt, weil er fürchtete, daß irgendein Fremder – sein Aufseher vielleicht oder ein Nachbar – sein schreckliches Geständnis mit angehört haben könnte. Doch als er aufblickte, sah er, daß es ein Fremder war. Und doch wußte Cavil Planter sofort, was der Mann war. An seinen kräftigen Armen, seinem sonnengebräunten Gesicht und dem offenen Hemd – er trug keinen Überrock – erkannte Cavil, daß dieser Mann auf jeden Fall kein Gentleman war. Aber er gehörte auch nicht zum armen weißen Pack, und er war auch kein Händler. Der strenge Blick, die Kälte seiner Augen, die Spannung in seinen Muskeln wie eine in einer Stahlfalle zusammengepreßte Sprungfeder: Dies war offensichtlich einer jener Männer, deren Peitsche und eiserner Wille die Disziplin unter den schwarzen Feldarbeitern aufrechterhielt. Ein Aufseher. Nur daß er kräftiger gebaut war und gefährlicher aussah als alle Aufseher, die Cavil je zu Gesicht bekommen hatte. Er wußte sofort, daß dieser Aufseher aus den faulen Affen, die auf den Feldern der Arbeit aus dem Weg zu gehen suchten, jede Unze Arbeitskraft herauspressen würde. Er wußte, daß jede Plantage, die von diesem Aufseher geleitet wurde, gedeihen würde. Cavil wußte zugleich aber auch, daß er es niemals wagen würde, einen solchen Mann zu beschäftigen, denn dieser Aufseher war so stark, daß Cavil dann vielleicht schon bald vergessen mochte, wer von beiden der Knecht und wer der Herr war.
    »Viele haben mich ihren Herrn genannt«, sagte der Fremde. »Ich wußte, daß du mich sofort als jenen erkennen würdest, der ich bin.«
    Woher wußte der Mann, was Cavil insgeheim gedacht hatte? »Dann seid Ihr wirklich ein Aufseher?«
    »So wie es einst einen gab, den man nicht einen Herrn, sondern nur den Herrn nannte, so bin ich nicht einfach ein Aufseher, sondern der Aufseher.«
    »Warum seid Ihr hierhergekommen?«
    »Weil du nach mir gerufen hast.«
    »Wie hätte ich nach Euch rufen sollen, da ich Euch doch noch nie im Leben gesehen habe?«
    »Wenn du nach dem Ungesehenen rufst, Cavil Planter, dann wirst du natürlich zu sehen bekommen, was du noch nie zuvor gesehen hast.«
    Erst jetzt begriff Cavil vollends, um welche Art von Vision es sich hier handelte, hier in seinem eigenen Trockenschupppen. Ein Mann, den viele ihren Herrn nannten; der als Antwort auf sein Gebet erschien.
    »Herr Jesus!« rief Cavil.
    Sofort wich der Aufseher zurück und hob die Hand, als wollte er Cavils Worte abwehren. »Es ist den Menschen verboten, mich bei diesem Namen zu nennen!« rief er.
    Voller Entsetzen neigte Cavil den Kopf zu Boden. »Vergib mir, Aufseher! Aber wenn ich unwürdig bin, Euren Namen auszusprechen, wie kann ich Euch dann ins Antlitz blicken? Oder bin ich dazu verdammt, noch heute zu sterben, ohne daß meine Sünden mir vergeben würden?«
    »Armseliger Narr!« erwiderte der Aufseher. »Glaubst du wirklich, du hättest mein Antlitz geschaut?«
    Cavil hob den Kopf und sah den Mann an. »Noch immer sehe ich Eure Augen, wie sie auf mich herabblicken.«
    »Du siehst das Gesicht, daß du dir im Geiste erschaffen hast, den Leib, den deine Vorstellungskraft heraufbeschworen hat. Dein erbärmlicher Verstand könnte niemals begreifen, was du sähest, würdest du schauen, was ich wirklich bin. Also schützt sich deine Vernunft, indem sie ihre eigene Maske erschafft, um mir diese aufzusetzen. Wenn du mich als Aufseher siehst, so deshalb, weil dies die Verkleidung ist, der du die Größe und die Macht zusprichst, die ich besitze. Es ist die Gestalt, die du zugleich liebst und fürchtest, die Gestalt, die dich zur Anbetung und zur Furcht bewegt. Ich bin mit vielen Namen belegt worden. Lichtengel und Schreitender Mann, Plötzlicher Fremder und Leuchtender Besucher, Verborgener und Löwe des Krieges, Entmacher des Eisens und Wasserträger. Heute hast du mich Aufseher geheißen, also ist dies für dich mein Name.«
    »Kann ich jemals Euren wahren Namen erfahren oder Euer wahres Antlitz schauen,
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