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006 - Die Schuld des Anderen

006 - Die Schuld des Anderen

Titel: 006 - Die Schuld des Anderen
Autoren: Edgar Wallace
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    »Herein!«
    Kommissar Lecomte betrat das Büro seines höchsten Vorgesetzten, der ihn zu sich gerufen hatte. Er schloß die Tür und blieb stehen.
    Monsieur Trebolino, der Chef der französischen Kriminalpolizei, hatte seinen Schreibtischsessel ans lodernde Kaminfeuer gerückt. Es war unangenehm kalt an diesem Märznachmittag, ganz Paris lag unter einer dichten Schneedecke.
    Trebolino, ein tatkräftiger Italiener, der schon als junger Mann die französische Staatsbürgerschaft erworben hatte, lächelte Lecomte wohlwollend zu.
    »Setzen Sie sich!« Er zeigte auf einen Ledersessel in seiner Nähe. »Eine Frage - haben Sie schon einmal vom »Klub der Verbrechen gehört?« Trebolino machte, als Lecomte nickte, eine lebhafte Handbewegung. »Ja? Nun gut, die Idee mag ja ganz originell sein - aber meiner Meinung nach sollte man doch daran denken, mit diesem Klub Schluß zu machen, bevor es zu Auswüchsen kommt. Studenten sind nun einmal unruhige Leute.«
    »Ach, ich glaube, die Geschichte wird sich bald ganz von selbst in nichts auflösen - wie es doch meist in solchen Fällen geht«, antwortete Lecomte unbekümmert.
    Trebolino zog die Stirn in Falten.
    »Was wissen Sie überhaupt davon?«
    »Vermutlich nicht mehr als Sie.« Lecomte zuckte die Achseln. »Einige Studenten haben einen Klub gegründet. Bei ihren Zusammenkünften befolgen sie feierliche Riten, gebrauchen Kennworte, leisten Eide - kurz, treiben all den Unsinn, der bei Geheimbruderschaften und Logen nun einmal üblich ist. Jedes Klubmitglied schwört zum Beispiel, irgendein französisches Gesetz zu übertreten.
    Bis jetzt haben sich die Gesetzwidrigkeiten allerdings darauf beschränkt, einen Polizisten zu belästigen.«
    »Das heißt, sie haben ihn in die Seine geworfen!« warf Trebolino ein.
    »Ganz richtig - und zwei der bösen Buben wären beinah ertrunken, als sie ihn wieder herausfischten. Sie wurden zwei Tage lang eingesperrt und erhielten außerdem eine Geldstrafe von zweihundert Francs aufgebrummt. Was die jungen Leute sonst noch anstellten, kann man übrigens nur als Kindereien und den üblichen Studentenulk bezeichnen.«
    Der Chef der Kriminalpolizei schien trotzdem nicht befriedigt zu sein.
    »Das klingt ja alles sehr harmlos«, meinte er, »aber es wäre mir trotzdem lieber, wenn diese Geschichte aufhörte. Es gibt immerhin Klubmitglieder, die mir durchaus nicht so harmlos erscheinen - ich denke zum Beispiel an diesen Willetts, angeblich Künstler. Er wohnt mit einem jungen Amerikaner - ich glaube, er heißt Comstock Bell - zusammen.«
    »Das heißt, er wohnte -«, verbesserte Lecomte. »Mr. Bell ist sehr reich und lebt ganz seinen Neigungen. Er ist ein Mann von Geschmack - Mr. Willetts dagegen trinkt ziemlich viel.«
    »Dann haben sie sich also getrennt«, stellte Trebolino überrascht fest. »Das wußte ich noch gar nicht. Vielmehr wurde ich darüber informiert, daß die beiden sich vorgenommen hätten, uns einige unangenehme Überraschungen zu bereiten - Überraschungen, die keine Lausbubenstreiche mehr wären.« Er stand auf und trat ans Fenster. »Also, Monsieur Lecomte«, sagte er nach einigen Minuten des Überlegens, »sorgen Sie dafür, daß dieser ganze Unfug ein Ende findet. Studenten schlagen manchmal über die Stränge, gewiß - aber hier scheint sich etwas anzubahnen, was man durchaus nicht auf die leichte Schulter nehmen sollte. Berichten Sie mir bitte, was Sie unternommen haben!«
    Lecomte verließ das Büro Trebolinos und machte sich im stillen ein wenig lustig über den Ernst, den der Chef dieser Sache beimaß.
    Lohnte es sich wirklich, so viel Aufhebens davon zu machen? Schließlich kannte Lecomte alle Mitglieder des ›Klubs der Verbrechen recht gut und wurde gelegentlich sogar zu ihren Zusammenkünften eingeladen. Nun, man würde sehen.
    Noch am gleichen Abend ging der Kommissar nach Dienstschluß ins ›Cafe der Barbaren‹ dem Treffpunkt der Studenten.
    Er wurde mit Hallo begrüßt, ein Student machte ihm sofort an einem großen Tisch Platz, ein anderer brachte ein Glas und schenkte ihm von dem Wein, der auf dem Tisch stand, ein.
    »Sie kommen gerade zur rechten Zeit, um sich an einer Unterhaltung zu beteiligen, die Sie interessieren dürfte«, sagte der Student, der den Kommissar mit Wein versorgt hatte, und deutete lachend auf einen seiner Kommilitonen, einen bärtigen, hageren Jüngling. »Mein Freund hier vertrat eben die Ansicht, daß die Ermordung eines Polizeispitzels nach der Lehre des Aristoteles absolut entschuldbar
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