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Moon

Moon

Titel: Moon
Autoren: James Herbert
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sich Childes abtrocknete, betrachtete er sich im Schrankspiegel. Sein Spiegelbild war blaß; er war sich nicht ganz sicher, ob die Schatten unter seinen Augen nur seiner Einbildung entsprangen. Er streckte die Finger aus, versuchte, sie ganz ruhig zu halten; es gelang ihm nicht.
    Childes setzte seine Brille wieder auf und ging ins Wohnzimmer hinüber; auf der Türschwelle zog er den Kopf leicht ein: er war nicht besonders groß, aber das Gebäude war alt, die Decke niedrig, und die Türrahmen noch niedriger. Das Zimmer war nicht allzu groß, aber Childes hatte auch nicht allzuviel hineingepackt: ein verschlissenes und plumpes Sofa, einen tragbaren Fernseher, einen rechteckigen Kaffeetisch; niedrige Bücherschränke flankierten zu beiden Seiten den aus Ziegelsteinen gemauerten Kamin; die Regalbretter waren vollgestopft.
    Auf einem dieser Regalbretter, oben, neben einer Lampe, stand eine kleine Ansammlung von Flaschen und Gläsern. Er ging hin und schenkte sich einen Scotch ein; einen sehr großen Scotch.
    Draußen war der Regen zu einem gleichmäßigen Strömen geworden, und er stand am Fenster, mit Blick auf den winzigen, nach hinten hinausgehenden Garten und beobachtete grübelnd die herabfallenden Tropfen. Wie bei den benachbarten anderen Häusern grenzte der Garten an weite Felder. Früher einmal waren diese Häuser ausnahmslos zweckgebundene Unterkünfte für Feldarbeiter gewesen - aber der Grundbesitz war schon lange aufgeteilt, Land und Besitzrechte waren verkauft. Childes hatte das Glück gehabt, eines dieser Häuser mieten zu können, als er vor zwei, beinahe drei Jahren hierher gekommen war... hierher, auf die Insel; Glück deshalb, weil hier freier Grundbesitz selten war und weil die Schulleiterin Estelle Piprelly so versessen gewesen war auf sein Computerwissen. Ihr beträchtlicher Einfluß hatte nachgeholfen, und so war er hierher und an seinen Mietvertrag gekommen.
    Weit in der Ferne, auf der Halbinsel, konnte er das College gerade noch erkennen, eine eigenartige Anordnung von Gebäuden, die sich im Lauf der Zeit in verschiedenen unausgegorenen Stilrichtungen ausgebreitet hatten. Das alles beherrschende Gebäude mit seinem Turm war weiß. Aus dieser Distanz war es kaum mehr als ein vom Regen verschleiertes graues Trugbild; der Himmel dahinter verfinsterte sich mit wogenden Wolken.
    Damals, als Childes vom Festland geflohen war vor dieser schädlichen Publicity und vor den neugierigen Blicken seiner Freunde und Kollegen, und, mehr noch, auch ihm völlig fremder Menschen, die sein Gesicht im Fernsehen oder in den Zeitungen gesehen hatten, war diese Insel eine friedliche Zuflucht für ihn gewesen. Hier gab es eine festgefügte Gemeinschaft, die in sich selbst ruhte, und das Festland und seine Komplexitäten waren auf Abstand gehalten. Aber so engmaschig diese Gemeinschaft auch war, für ihn hatte es sich als relativ leicht erwiesen, Zugang zu finden, und heute war er in die Fünfzigtausend-Seelen-Bevölkerung integriert. Er hatte dieses krankhafte Interesse und - er umfaßte das Glas sehr fest - diese Anschuldigungen hinter sich gelassen. Er wollte, daß es so blieb.
    Childes trank das Glas leer und goß es noch einmal voll; der Scotch half, den schlechten Geschmack hinabzuspülen, der noch immer in seinem Mund klebte. Er kehrte ans Fenster zurück, und dieses Mal sah er nur mehr den Schemen seines eigenen Spiegelbildes. Draußen war es beträchtlich dunkler geworden.
    War es dasselbe? Hatten die Gedankenbilder, die er im Meer gesehen hatte, etwas mit jenen schrecklichen, alptraumhaften Visionen zu tun, von denen er vor so langer Zeit heimgesucht worden war? Er konnte es nicht sagen: Beinahe wäre er ertrunken, und das hatte sein Gefühl dafür verändert. Aber währenddessen und kurz danach, als er nach Atem ringend am Strand gelegen war, da war er davon überzeugt gewesen, da war er seiner Sache ganz sicher gewesen; die Visionen waren wieder da.
    Angst breitete sich in ihm aus.
    Ihm war kalt, aber seine Stirn war schweißnaß. Da war eine Vorahnung... sie packte ihn, und mit ihr kam noch mehr Angst.
    Er ging in den Flur hinaus, nahm den Telefonhörer ab, wählte.
    Sekunden vergingen, dann meldete sich eine atemlose Stimme.
    »Fran?« sagte er, und sein Blick war auf die Wand gerichtet, aber er sah ihr Gesicht trotzdem.
    »Wer sonst? Bist du's, Jon?«
    »Ja.«
    Eine lange Pause entstand, dann sagte seine Ex-Frau: »Du hast mich angerufen. Hast du mir was zu sagen?«
    »Wo ist... eh... wie geht's
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