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Moon

Moon

Titel: Moon
Autoren: James Herbert
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Vorher

    Der Junge hatte aufgehört zu weinen.
    Er lag in seinem schmalen Bett, die Augen geschlossen; sein Gesicht war eine Alabastermaske im Mondschein. Ab und zu durchlief ein Zittern seinen Körper.
    Er umklammerte die Bettdecke und zerrte sie hoch, bis dicht unters Kinn. Eine schreckliche Schwere drückte seinen Körper nieder, ein Gefühl, das sein Blut in flüssiges Blei verwandelt hatte: es war die Bürde des Verlustes, und sie erschöpfte und schwächte ihn.
    Der Junge hatte bereits eine lange Zeit so da gelegen -wie viele Stunden, wußte er nicht, denn die ganzen letzten drei Tage waren eine zeitlose Ewigkeit gewesen -, und sein Vater hatte ihm verboten, das Bett noch einmal zu verlassen. So lag er da und ertrug den Verlust und ängstigte sich vor der neuen Einsamkeit.
    Bis ihn irgend etwas veranlaßte, die rotgeweinten Augen noch einmal zu öffnen.
    Die Gestalt stand am Fußende des Bettes, und sie lächelte ihm zu. Er spürte ihre Wärme, spürte, wie sich das Gefühl der Einsamkeit augenblicklich auflöste. Aber das war unmöglich. Sein Vater hatte ihm gesagt, daß es unmöglich war.
    »Du... kannst... es... nicht... sein«, hauchte er, und sein Stimmchen war ein zitterndes Eindringen in die Nacht. »Er... sagt... das gibt es... das gibt es nicht... du kannst... nicht sein...«
    Das Gefühl des Verlustes war wieder da, denn jetzt war es auch in ihr.
    Und dann blickte der erschreckte Junge irgendwo anders hin, tastete mit seinen Blicken im Raum umher, starrte nach oben, in eine entfernte Ecke, als bemerke er dort plötzlich eine weitere Erscheinung, jemand anderen, der ihn beobachtete, jemand, den er nicht sehen konnte. Der Augenblick verging; er hörte Schritte im Flur draußen, und er schaute weg, zum ersten Mal mit richtiger Angst in den Augen. Die Frau war verschwunden.
    In der Türöffnung stand der schwankende Schatten eines Mannes.
    Der Vater des Jungen stolperte auf das Bett zu. Die nur allzu vertraute Alkoholfahne war ebenso sehr ein Teil von ihm wie das ständig verkniffene Gesicht.
    »Ich hab's dir gesagt«, flüsterte der Mann, und in seiner Stimme schienen sich Zorn und Schuld zu mischen. »Nie mehr! Nie mehr...« Er kam näher, und seine Faust war erhoben, und der Junge duckte sich unter die Bettdecke.
    Draußen stand der Vollmond hell und klar vor dem tiefen Schwarz der Nacht.

Endlich war sie tot.
    Wo Entsetzen gewesen war, gab es jetzt nur noch Leere.
    Tote Augen. Die eines Fisches auf einer Eisscholle.
    Ihr Körper lag still, das letzte Zucken war verklungen, das letzte Keuchen verstummt. Der letzte Ausdruck in ihrem Gesicht löste sich auf.
    Zu Krallen gebogene Finger hielten den Schemen über ihr noch immer gepackt, ein Daumen war in seinen Mund gehakt, als hätte sie versucht, dessen Lächeln abzureißen.
    Das Etwas löste den Griff um ihre Kehle und richtete sich auf; sein Atem verriet kaum Anstrengung, obgleich sich die Frau unter ihm lange gewehrt hatte.
    Es zerrte den Daumen von den spöttischen Lippen, und die Hand der Leiche fiel hinab und klatschte auf das nackte Fleisch. Es hielt inne, betrachtete das Opfer eingehend. Und es lächelte die ganze Zeit.
    Es griff nach den leblosen Händen, umfaßte die Handgelenke, hob sie an. Schob die brüchigen Nägel über das eigene Gesicht, zerrte die vom Schock starren Finger um die eigene Kehle: es verhöhnte sie; eine Art Rache. Ein dumpfes Glucksen verspottete ihre Untätigkeit.
    Es zog die Hände über seinen rittlings auf der Leiche kauernden nackten Körper, bewegte sie abwärts; sie sollte es überall berühren, jeden Zoll streicheln. Und dieses tödliche, sanfte Streicheln rief neue Lüste hervor.
    Auf dem langsam abkühlenden Leichnam der Frau war die Gestalt ganz mit sich selbst beschäftigt.
    Nach einer Weile erhob sich das Etwas von dem Bett; ein leichtes Schimmern von Schweiß bedeckte seine Haut. Es war noch nicht befriedigt.
    Kalter Nieselregen wehte in plötzlichen Böen gegen
    das Fenster, als wolle er gegen die Grausamkeit hier drinnen protestieren. Ausgebleichte Vorhänge, eine Barriere gegen das Tageslicht, dämpften das Geräusch.
    Eine Tasche in der Ecke des schäbigen Zimmers wurde aufgeklappt, ein schwarzes Päckchen hervorgeholt. Das Päckchen wurde auf dem Bett ausgerollt, dicht neben der Leiche, und metallische Instrumente glänzten schwach im Zwielicht. Ein jedes Teil wurde emporgehoben, dicht vor die Augen gehalten, eingehend betrachtet; der Glanz dieser Augen konnte nicht abgeschwächt werden. Das erste Teil
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