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Meine Spur löscht der Fluß

Meine Spur löscht der Fluß

Titel: Meine Spur löscht der Fluß
Autoren: Othmar Franz Lang
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diktieren ließ.
    Manchmal ermüdete ihn Sapir mit seinen Fragen.
    San Francisco, das waren ein entsetzlicher, trockener Husten und Müdigkeit, Kopfschmerzen und Stechen in der Brust, das war die Sehnsucht nach Schlaf und Ruhe.
    Gesichter beugten sich über ihn, Waterman, Kroeber und immer wieder Gifford. Manchmal auch das Delilas.
    »Wie geht es?« Sie war noch immer nobel und nannte seinen Namen nicht.
    Ishi lächelte und versuchte den Ruf des Bergwachtel-hahnes.
    Sie antwortete gurrend, wie damals im Sutro Forest.
    »Unsere Pflanzen sind angewachsen.«
    Er nickte. »Unsere« Pflanzen hatte sie gesagt.
    Kroeber reiste ab. Und irgendwo, weit über dem Meer, mordeten Weiße diesmal die Weißen.
    Seine Träume wurden wirrer. Er schwamm mit seiner Mutter zum Wasserfall, der Mann dahinter winkte. Seine Schwester tauchte auf. Sie waren wieder in Wowunupo mu tetna.
    Sie standen um sein Bett und redeten, und er verstand nicht, was sie sagten.
    Dr. Pope erklärte Waterman, daß die Indianer nicht immun gegen die Krankheiten der Weißen seien. »Sie vergessen eines, wir erhalten uns durch unsere Krankheiten vom Kindesalter an gesund.«
    Waterman erzählte seinen Studenten von Ishi. Er verlangte von ihnen, sie müßten Feuer machen können wie er. Als er ihnen vorführte, wie sie es machen müßten, brachte er nur einen Faden Qualm zustande.
    Später wußte es Dr. Pope. Offene Tuberkulose. »Wir haben zu lange keine Bazillen in seinem Sputum gefunden.«
    Gifford schmiß eine Pazifik-Insel-Ausstellung aus einem Zimmer des Museums und packte sie in den Keller, weil dies das sonnigste Zimmer war. Da wurde Ishi hineingelegt. Wenn er den Kopf hob, konnte er den Golden Gate Park und Sutro Forest und das Krankenhaus sehen. Und wenn er die Augen schloß, sah er den jungen, kräftigen Yahi, der hinter dem Wasserfall stand und ihn zu sich winkte.
    Ein paar Tage ging es besser. Ishi wollte etwas tun.
    Poyser ließ ihn mit seinem Gummischrubber an die Fenster. Zwei schaffte Ishi, dann war er müde. Poyser räumte alles weg. Mit Tränen in den Augen.
    Als Waterman von Berkeley kam, sagte Ishi stolz: »Ich hab’ Fenster geputzt.«
    Waterman war am Heulen, als er ging, er machte sich Vorwürfe, Ishi mit den langen Interviews von Sapir über-anstrengt zu haben.
    Aber Ishi war nicht traurig. Er klagte nie.
    Immer öfter besuchte ihn seine Mutter...

    In der Nacht wachte er auf. Ein leiser Luftzug hatte ihn geweckt. Ein Luftzug wie von einem, der vorsichtig vorübergeht.
    Waren die Jäger gekommen, hatten sie ihn, den letzten Yahi, endlich gefunden?
    Ishi lag still und atmete kaum. Ihm war alles klar. Er lag in seinem neuen Zimmer im Museum. Da war sein Bett, dort der Tisch und der Stuhl, das Fenster mit dem Baumwollvorhang davor, und draußen vor dem Fenster der Schimmer der Nacht. Und dann sah er, wie sich die Luft vor dem Fenster verdichtete, wie aus dem Dunkel Gestalt wurde, ein Körper.
    Er lag da, die Hände im Bettuch verkrampft, und konnte diesen Vorgang zwischen dem Fußende seines Bettes und dem Fenster nicht verhindern. Es war eine Kraft da, nicht aufzuhalten. Er sah die Gestalt ganz deutlich, sie löste Schauer aus, die ihm die Schultern hinunterflossen. Es war seine Mutter, gebückt und zusammengesunken, wie in Wowunupo mu tetna.
    »Mutter?«
    »Keine Angst. Ich bin’s.« Sie sprach, wie sie im Wald mit ihm gesprochen hatte, auf der Steinplatte im Cañón. Das Wispern einer Maus konnte nicht leiser sein.
    »Keine Angst. Sie finden uns nicht. Diesmal nicht.«
    Er hob den Kopf, stützte sich auf, ganz leicht nur, das Stroh unter ihm durfte nicht knistern. Er sah, wie sich die Gestalt seiner Mutter zurückzog, in die Ecke links vom Fenster. Dort kauerte sie sich hin.
    »Bist du durch den Fluß gegangen?« fragte er leise.
    »Durch den Fluß, und von Steinplatte zu Steinplatte, und wo ich die Erde berührte, streute ich Laub darüber...«
    »Und woher kommst du?«
    »Von unserem Sommerplatz in den Bergen, vom Waganupa unter dem Schnee. Ich hab’ dir Dörrfleisch mitgebracht und wilde Zwiebeln und Eichelmehl...«
    »Wie ist es dort jetzt?«
    »Wie früher. Nur...«
    »Nur?«
    »Sie jagen uns nicht mehr. Sie haben es aufgegeben. Man kann die Blätter der Sträucher nicht jagen, nicht die Halme der Gräser. Wir wohnen hinter der Rinde der Bäume, in den Adern im Fels.«
    »Gibt es noch Klee im Frühjahr, Mutter?«
    »Mit sauren Blättern und süßen Blüten. Es gibt noch Klee im Frühjahr.«
    Da erst wurde er gewahr, daß er mit
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