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Meine Spur löscht der Fluß

Meine Spur löscht der Fluß

Titel: Meine Spur löscht der Fluß
Autoren: Othmar Franz Lang
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seiner Mutter redete, als wäre er eine Frau oder ein Kind und nicht ein Mann. Aber so sehr er sich auch mühte, er hatte die Männersprache der Yahi vergessen, die Sprache, in der er so viel hatte schweigen müssen.
    »Ich spreche wie ein Kind«, sagte er kleinlaut, »und nicht wie ein Mann. Verzeihst du mir, Mutter?«
    Er konnte es nicht sehen und nicht hören, aber er wußte, daß seine Mutter lächelte. Es war ihr einerlei, welche Sprache er sprach. Für sie war es ganz und gar bedeutungslos.
    »Wo war ich als Kind?« fragte er, weil er sich daran kaum mehr erinnern konnte.
    »Wir hatten ein hübsches, kleines Dorf. Hütten mit Wänden aus Flechtwerk und mit Lehm verschmiert. Der Wind blieb draußen und der Regen auch. Der Boden in unserer Stube war immer trocken. Und wir Frauen hatten ein eigenes Haus...«
    »Hast du nicht bei meinem Vater gewohnt?«
    »Ich wohnte bei deinem Vater, aber alle vier Wochen gingen die Frauen in das Haus. Jede zu ihrer Zeit. Erst nach fünf oder sechs Tagen kehrte sie zu ihrem Mann zurück. So auch ich zu deinem Vater.«
    »Du sprichst sehr leise, Mutter.«
    »Wir haben immer leise gesprochen. Auch du warst leise wie alle unsere Kinder. Eure Spiele waren leise Spiele. Ihr habt leise gelacht und leise geweint. Unsere Hunde bellten nicht.«
    Die Hunde!
    Ishi erinnerte sich. Ein graubraunes, struppiges Fell, aus dem es staubte. Die Rippen unter dem Fell, das Klopfen des Herzens, die rosige Zunge, die weißen Zähne, der dunkel gesprenkelte Gaumen. Sein Kopf auf dem Fell des Hundes, der kurze, hechelnde Atem. Das leise Knurren, das den Vater weckte.
    Die Hunde waren die einzigen Haustiere gewesen. Alle anderen Tiere waren wild, so hatte es ihn sein Vater und später sein Onkel gelehrt.
    »Mutter?«
    Die kleine, zusammengesunkene Gestalt in der linken Ecke hob den Kopf.
    »Ich hab’ Feuer aus zwei Hölzern gemacht«, sagte Ishi, als ob seine Mutter das nicht wüßte.
    »Ja, das hast du. Niemand konnte so schnell Feuer machen wie du.«
    »Ja«, sagte er überzeugt.
    »Niemand konnte ein solch rauchloses Feuer machen wie du.«
    Ishi nickte.
    »Auf keinem Feuer wurden die Lachse so gut wie auf deinem.«
    »Ich nahm nur das trockenste Holz, Mutter, die dürren Zweige der Eichen, das Eichenholz war es, das die Lachse so gut machte.«
    Er rieb die Hölzer am Felsvorsprung in der Schlucht. Seine Handflächen wurden heiß, so schnell drehte er den Eichenstab im weichen Holz. Schon nach kurzer Zeit stieg ein Faden Rauch auf, ein dünner Strich nur. Und wenn er in das trockene angemoderte Holz blies, war ein Funken Glut zu entdecken. Er brauchte nur zu wissen, wie leicht sein Atem über die Glut hinstreichen mußte. Später war es einerlei, er legte vorsichtig ganz dünne Rindenstücke über den glühenden Kern. Er holte tief Luft und blies wieder, geduldig und gleichmäßig. Sein Atem nährte das Feuer. Jetzt kamen Distelsamen, die ersten, dünnen Zweige darauf, dann stärkere. Rot waren die Flammen und rauchlos. Und wenn er hineinblies, wurde das glühende Holz weiß. Mutter hatte einen flachen Teller geflochten, eine flache Scheibe mit Stiel, damit fachte er jetzt das Feuer an, verjagte den Rauch. Er konnte sein Gesicht nicht mehr dem Feuer nähern, schon war es zu heiß. Er fächelte Luft zu und war stolz, daß sich kein Brandgeruch verbreitete. Er brachte das Feuer. Er war der, der ihnen mit seinem Feuer Geborgenheit schenkte.
    Und plötzlich war es nicht mehr das kleine Feuer am Felsenvorsprung in ihrer Schlucht, sondern das große, gierige damals, das ihre Toten aus der Höhle verbarg. Immer höher stiegen die Flammen, immer unerträglicher wurde die Hitze. Der Onkel kam mit einem brennenden Ast, um sein Haar zu verbrennen. Es waren zu viele Tote. Mehr als Lebende. Der Onkel verbrannte erst sein eigenes Haar bis auf die Kopfhaut. Es mußte ihn schmerzen, aber er verzog keine Miene. Und dann kam sein Onkel mit dem flammenden Holz auf ihn zu, die Hitze erfaßte ihn, und als sie unerträglich wurde, begann er zu laufen. Er mußte zurück, zurück in die Berge, wo sie sich den Sommer über aufgehalten hatten. Aber wann waren diese Sommer gewesen? Weit, weit zurück mußten sie liegen, und er war nicht sicher, ob er wenigstens einen dieser Sommer noch finden würde. Seine Mutter... seine Schwester... die kleinen kernigen Zwiebeln, die sie gegessen hatten... der Wasserfall...
    Wo waren diese Sommer?
    Ihm war klar, zunächst mußte er den Wald finden und dann den Bach im Wald. Seinen Lauf ging er
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