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Meine Spur löscht der Fluß

Meine Spur löscht der Fluß

Titel: Meine Spur löscht der Fluß
Autoren: Othmar Franz Lang
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weiß es, dachte Apperson.
    Es war seltsam still, die Vögel schwiegen. Oder gab es hier keine Vögel?
    Ishi stand am Ufer des Sees. Wie alt war er damals gewesen? Vier oder fünf? Oder vielleicht sechs Jahre? Es war gleichgültig. Seine Zeitrechnung war durcheinandergeraten. Er wußte nur noch, daß gestern gestern war und morgen morgen sein würde. Er stand hier am Ufer und hielt die Hand seiner Mutter, und sie stieg in den See, und das Wasser reichte ihm bis zur Brust, seiner Mutter aber nur bis zur Hüfte. Dann schwammen sie. Der Wasserfall nahm ihm den Atem, dieser feine Wasserstaub, in dem die Regenbogen hingen. Und dann war die Mutter hinter den Wasserfall gekrochen und hatte ihn hervorgeholt, seinen Vater... und das Wasser war rot und sein Vater ganz bleich. Später waren noch ein paar Frauen dagewesen, die der Mutter weinend geholfen hatten. Und am Abend hatte sich seine Mutter die Haare sehr kurz gebrannt.
    Ishi tauchte seine Füße in den See und sah hinüber. Er erstarrte. Drüben hinter dem Wasserfall stand ein junger Yahi, und er winkte ihm, er solle kommen. Ishi sah den Mann ganz deutlich.
    Erst als er nickte, hörte der Mann zu winken auf und verschwand.
    Als Ishi sich umdrehte, starrten ihn die anderen an. Keiner wagte zu fragen. Der junge Saxton ergriff seine Hand, und sein Vater schien zu begreifen, daß etwas geschehen war..
    »Ich will nach Hause«, sagte Ishi nach langem Schweigen.
    »Wohin nach Hause?« fragte Dr. Pope.
    »Ins Museum, nach Frisco.«
    Auf dem Rückweg zum Lager suchte Ishi die Nähe Appersons. Apperson merkte dies und zog die Zügel straffer.
    Eine Weile ritten sie langsam nebeneinander.
    Endlich sagte Ishi: »Ich wollte dich töten.«
    »Ich weiß«, erwiderte Apperson. »Ich wollte dich damals nicht töten.«
    »Das wußte ich nicht.«
    Apperson lächelte verlegen und suchte nach einem befreienden Wort.
    »Hauptsache«, rief er schließlich, »heute wissen wir’s.« Und er gab seinem Pferd die Sporen und schloß zu den anderen auf.

    San Francisco.
    Das war der Weg die Parnassus Heights hinunter zum Trolleybus. Die Fahrt zum Fährgebäude, mit der Fähre über die Bucht und mit dem Vorortzug von der Oakland Mole bis zur Endstation, nur einen Block vom Universitätscampus entfernt. Längst unternahm Ishi diese Reise allein. Das waren noch eine Reihe von Sonntagen im Museum. Tage im Krankenhaus, darunter jene entsetzliche, da er eine Tür öffnete, die er noch nie geöffnet hatte, in den Seziersaal geriet und sezierte Leichen in verschiedenen Stadien der Zerlegung entdeckte. Er lief und lief und landete endlich bei Dr. Pope, der ihn lange beruhigen mußte und ihn zu Operationen einlud, um das schreckliche Erlebnis zu verwischen. Ishi war bei den Operationen ein sehr ernster und interessierter Zuseher.
    San Francisco.
    Das war seine eigene Krankheit.
    Das waren aber auch die Späße und Neckereien Worbinnas, die düsteren Prophezeiungen Loudys, das griesgrämige Gesicht von Poyser, die Freundlichkeit von Gifford und das Lächeln seiner Frau Delila.
    Das waren diese Zirkusvorstellungen, eine Buffalo-Bill-und Wildwest-Show mit echten Indianern. Das war der Abend mit den vielen Indianern.
    Einer, ein Siouxhäuptling, kam auf sie zu und fragte: »Zu welchem Stamm gehört er?«
    Pope antwortete: »Yana von Nordkalifornien.«
    Der großgewachsene Häuptling der Sioux nahm eine Strähne von Ishis Haar und rollte sie zwischen den Fingern, dabei blickte er ihm prüfend ins Gesicht. Schließlich sagte er: »Er ist ein Indianer von sehr hohem Rang.« Und Ishi sagte zu Pope über den Sioux: »Er ist ein big chiep.« Pope hatte längst erkannt, daß Ishi kein gewöhnlicher Indianer war. Kein Mensch bewegte sich so schön wie Ishi. Er schrieb, angeregt durch Ishi, an einem Buch über die Kunst des Bogenschießens.
    Loudy nahm Ishi mit ins Kino. Man zeigte einen Passionsfilm. Aber Loudy hatte zu viel von dem bösen Mann gesprochen, der kaum einen in sein Haus ließ, so daß Ishi Christus mit diesem bösartigen Mann verwechselte, und den Ausgang der Geschichte als gerecht empfand.
    Loudy war niedergeschmettert.
    San Francisco, das waren die drei Sommermonate 1915 im Haus Watermans in Berkeley, der tägliche Weg über das Universitätsgelände, an der Bibliothek vorbei, an den Nord-und Südhallen, am Strawberry Creek vorbei durch Faculty Glade zum Anthropologiegebäude, wo ein Freund Professor Watermans, der Linguist Professor Sapir, auf ihn wartete und sich von ihm stundenlang Yahiwörter
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