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Mantelkinder

Mantelkinder

Titel: Mantelkinder
Autoren: Anna Geller
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zurück.
    Susanne wandte sich ab. Sie brauchte einige Zeit, um den sauer hochkommenden Kaffee zu ignorieren und sich unter Kontrolle zu bringen. Nur mit Mühe gelang es ihr, das Wasser, das mit einem Mal in ihren Augen stand, wegzublinzeln. Sie atmete mehrmals tief durch und drückte die Zigarette an einem Baumstamm aus.
    Dann erst tat sie das, was sie tun musste. Sie betrachtete die Leiche von Claudia Seibold mit den Augen der ermittelnden Polizistin.
     

Montag, 5. November
     
    Das rhythmische Summen des Motors und das schnurgerade, monotone Band der Autobahn wirkten einschläfernd. Doktor Christian Sprenger rutschte ein wenig tiefer in den Beifahrersitz, schloss die Augen und versuchte, seine Beine im Fußraum auszustrecken, was ihm nur leidlich gelang. Voller Zufriedenheit dachte er an die vergangenen fünf Monate zurück und überschlug schnell, dass das rund dreizehn Millionen Sekunden waren. Und jede einzelne davon hatte er genossen.
    Dabei war er der Meinung gewesen, mit seinem Single-Dasein zufrieden zu sein, seinem Alltag, seinem Beruf als Strafverteidiger. Bis er an jenem Samstag im Mai einen Moment zu lange in die blaugrauen Augen der Frau geschaut hatte, die jetzt den Wagen lenkte.
    Karin Berndorf war groß, muskulös und verbarg ihre Verletzlichkeit oft hinter einer gewissen Bärbeißigkeit — Merkmale, die Chris überhaupt nicht attraktiv fand. Bis zu diesem Samstag jedenfalls nicht. Bis Karin mit ihrem brummigen Charme dahergekommen war, und eine solche Zuneigung in ihm geweckt hatte, dass …
    „Oh, verflucht! Wie weit ist das denn noch?“
    „Was?“, erschrocken fuhr Chris auf.
    „Na, der Parkplatz! Da war doch ein Parkplatz angezeigt! — Ich werd wahnsinnig!“
    „Was ist denn los? Musst du pinkeln?“ Er rutschte ein wenig höher und sah seine Freundin besorgt von der Seite an. Er war immer besorgt um Karin.
    „Ich werd verrückt, einfach verrückt! Ah! Endlich!“
    „Karin! Was, um Himmels willen, ist los?“
    Sie drosselte das Tempo, bog auf den Parkplatz ein und würgte den Motor des dunkelblauen Golfs ab. Dann löste sie beide Sicherheitsgurte und zog Chris an sich. So gut das eben ging in einem Auto.
    „Ich will dich küssen, das ist alles“, sagte sie und schritt augenblicklich zur Tat.
    „Oh, du Verrückte“, murmelte Chris überrumpelt, als er wieder Luft bekam. „Mach weiter!“
    Aber er bereute die Aufforderung schon Sekunden später und nahm sie schleunigst zurück. „Hör auf, Karin! Hör auf damit. Ich vernasche dich sonst hier auf der Stelle.“
    „Und?“
    „Ich weiß nicht, wie sich die belgischen Behörden dazu stellen, wenn wir es auf einem Autobahnparkplatz treiben.“ Er küsste zart ihren Hals, spürte mit Genugtuung, wie sich dort jedes Härchen einzeln aufrichtete.
    „Glaubst du … glaubst du, wir kommen in eine gemeinsame Zelle?“, fragte sie rau.
    „Ich fürchte, nein.“ Sein Mund wanderte zum Ohrläppchen hinauf. „Die halten Männlein und Weiblein strikt getrennt. Wie bei uns.“
    Als seine Hände unter dem dünnen Stoff von Karins Bluse die steil aufgerichteten Brustwarzen ertasteten, schob sie ihn ein paar Zentimeter weg. „Lass … ich garantiere sonst für nichts.“
    Chris grinste. „Zu Hause ist es sowieso netter. Und es ist nur noch eine Stunde.“
    „Hast ja Recht.“ Sie legte die Hände aufs Lenkrad, atmete tief durch und schüttelte den Kopf. „Ich bin jetzt schon seit fünf Monaten verrückt nach dir. Ist das normal?“
    Er nahm die Frage durchaus ernst, denn so spontan wie vorhin war sie gewöhnlich nicht. Damit niemand durchschaute, was sich hinter ihrer rauen Schale verbarg, hatte sie ihre bisherigen Partner immer auf Abstand gehalten, sich nie bis über beide Ohren verliebt. Mit Chris war es anders, und offenbar brauchte sie nun eine Bestätigung für dieses neue Gefühl.
    Deshalb antwortete er mit Nachdruck: „Völlig normal, glaub mir.“
    „Hört das irgendwann auf?“
    „Ich hoffe nicht“, lachte Chris.
    „Meinst du, wir könnten alt miteinander werden?“ Karin warf ihm einen Seitenblick zu und in ihren Augen stand der Schalk.
    „Du meinst, zittrig, klapprig und geistig völlig durch den Wind?“
    „Wir sitzen auf einer Parkbank und uns hängt ein Dröppel an der Nase“, spann sie weiter.
    „Und wir bewerben uns als Stadler und Waldorf bei der Muppet-Show“, kicherte Chris. „Das könnte mir gefallen.“
    „Mir auch“, grinste Karin, während sie den Wagen wieder startete.
    Die Woche an der Loire war viel zu
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