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Mantelkinder

Mantelkinder

Titel: Mantelkinder
Autoren: Anna Geller
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mich. Nehmen Sie sich Klippstein und Müller als Ihre verlängerten Arme. Den Rest überlasse ich Ihnen.“
    Er fuhr sich mit einer müden Bewegung über die Stirn und setzte hinzu: „Aber hoffen wir, dass es nicht dazu kommt.“
    Damit ließ er die beiden stehen und ging mit hängenden Schultern davon. Susanne sah ihm mit gerunzelter Stirn hinterher, versuchte zu begreifen, was Maurer da gerade gesagt hatte. Wieso ausgerechnet sie? Stand die Leitung einer so großen und wichtigen Ermittlung nicht eher einem Kriminalrat zu, zumindest aber einem Ersten Hauptkommissar? Und wieso verkürzte er den üblichen Dienstweg so drastisch und überging damit einfach mehrere Stellen?
    „Der hat sie nicht alle“, wisperte Hellwein. Auch ihm war klar, welch ungeheure Verantwortung da plötzlich auf ihren Schultern liegen könnte.
    „Im Gegenteil.“ Susanne ahnte plötzlich, was Maurer beabsichtigte. „Er geht doch bald in Pension, oder?“
    Hellwein pfiff durch die Zähne. „Du meinst, so ein richtig großer Fall zum Abschluss seiner Karriere kommt ihm sehr gelegen. Und damit auch ja nichts schiefgeht, zieht er persönlich die Fäden. Und weil er an uns einen Narren gefressen hat …“
    „Komm auf den Teppich, Heinz!“, unterbrach sie ihn schroff. „Der will im Zweifelsfall keinen hohen Beamten verbrennen. Wir sollen für ihn die Kohlen aus dem Feuer holen. Wenn´s gut geht, kriegt er den Lorbeerkranz und wir ´ne Beförderung. Und wenn´s schief geht …“
    „… wäscht er seine Hände in Unschuld und wir beide schieben bis zur Pensionierung Verwaltungsdienst“, vollendete Hellwein und sein Blick verdüsterte sich. „Ich sehe schon, wir gehen einer rosigen Zukunft entgegen.“
     
    Etliche Stunden später warf Susanne einen sehnsüchtigen Blick auf die Fenster eines Studentencafés an der Zülpicher Straße. Auch wenn sie wusste, dass die Befragungen wichtig waren, hatte sie die Nase gestrichen voll von ängstlichen und besorgten Eltern, von Nieselregen und trübem Himmel.
    „Pause?“, schlug Hellwein vor. Wie so oft erriet er ihre Gedanken.
    Susanne nickte dankbar und zog die Tür des Lokals auf. Drinnen war es rappelvoll und sie ergatterten gerade noch zwei Plätze neben der Tür zur Damentoilette.
    Der Kaffee war heiß und stark, der Raum mollig warm, trotzdem wäre sie nach fünf Minuten am liebsten wieder nach draußen gelaufen. Die jungen Leute um sie herum schlürften Tee oder Cappuccino, schwatzten, lachten, diskutierten. Ein kleines Kind verschwand, und die Welt drehte sich einfach weiter.
    Es herrschte so viel Lärm um sie herum, dass sie beinahe das Handy in ihrer Manteltasche überhörte. Sie fummelte es heraus und warf dabei ganz automatisch einen Blick auf die Uhr. Es war 16 Uhr 15, als sie sich ein Ohr zuhielt, um ihren Gesprächspartner verstehen zu können.
    Maurer selbst war am anderen Ende des Funkstrahls. „Über die 110 kam vor fünfzehn Minuten ein Notruf: Leblose Person im Gremberger Wäldchen.“
    Es dauerte eine Sekunde, ehe Susanne nachhakte: „Person?“ Sie spürte, wie ihre Kehle trocken wurde.
    „Die Kollegen vom Wachdienst sind vor Ort“, murmelte Maurer so leise, dass sie nur Bruchstücke verstand. „Es ist ein Kind … Ich habe sofort alles Nötige veranlasst.“
    Auf dem Weg ins Rechtsrheinische versuchte sie, den Kopf leer zu bekommen, sich nicht schon vorab Fragen zu stellen, die keinen Sinn ergaben, bevor sie nicht wussten, was sie im Gremberger Wäldchen wirklich vorfinden würden. Und sie versuchte, sich zu wappnen. In den vergangenen fünfzehn Jahren war sie dem Tod häufig begegnet. Manchmal war die Betroffenheit groß, manchmal nicht. Manchmal kam zu der Betroffenheit noch Widerwille und Abscheu, wenn eine Leiche verstümmelt, verwest oder zu lange im Rhein getrieben war. Ein Kind aber war etwas völlig anderes. Das ging bis ins Mark. Das wurde man nicht mehr los.
    Zum letzten Mal hatte sie vor zehn Jahren den Mord an einem Kind untersucht. Der Junge war dreizehn gewesen, ein Straßenkind, schon Monate vorher von zu Hause ausgerissen und am Südbahnhof in eine Messerstecherei geraten. Es war lange her, es war eine völlig andere Situation, der Junge war doppelt so alt gewesen wie Claudia. Und doch hatte sie nie den Anblick des blutüberströmten Körpers vergessen, nie ihre Wut, weil er gestorben war, ehe sein Leben richtig angefangen hatte.
    „Warum ausgerechnet da?“, fragte Hellwein, der am Steuer saß. Er sprach das aus, was Susanne zu denken vermeiden wollte.
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