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Mantelkinder

Mantelkinder

Titel: Mantelkinder
Autoren: Anna Geller
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„So weit weg?“
    „Lass uns erst sehen, was da überhaupt los ist“, blockte sie ihn ab und sah angestrengt auf die leuchtenden Rücklichter vor ihnen. So grau und neblig wie es den ganzen Tag gewesen war, bemerkte sie die jetzt hereinbrechende Dunkelheit kaum.
    Als sie den Parkplatz auf der Westseite des kleinen Waldgebietes erreichten, waren schon fast ein Dutzend Streifenwagen vor Ort. Mit aufgeblendeten Scheinwerfern standen sie da und tauchten den Platz in so grelles Licht, dass Susanne die Augen zusammenkneifen musste. Funkgeräte knackten, die Stimmen daraus hallten auf dem mit Bäumen umgegebenen kreisrunden Flecken wider. Ein erster Technikwagen war vorgefahren. Halogenstrahler und Generatoren wurden ausgeladen. Männer und Frauen streiften weiße Overalls über, die verhindern sollten, dass die ermittelnden Beamten eigene Spuren hinterließen. Hinter ihnen hielt ein Fahrzeug der Spurensicherung. — Maurer hatte wirklich alles veranlasst.
    Bevor Susanne ausstieg, versuchte sie noch einmal, den Schutzmantel überzustreifen, den sich jeder Todesermittler im Laufe der Jahre zulegte. Sie würde eine Leiche sehen. Eine Leiche, wie so viele davor. Es war ihr Job, die Todesumstände zu klären. Punkt. Aber sie ahnte, dass es dieses Mal nicht funktionieren würde. Nicht, wenn es Claudia war, das Kind mit diesen dunklen Augen, diesem Blick, der einem tief ins Herz ging.
    Als sie endlich die Beifahrertür von außen zudrückte, sah sie im Dämmerlicht einen Mann um die fünfzig, der mit verschränkten Armen und gesenktem Kopf an der Motorhaube eines Streifenwagens lehnte. Zu seinen Füßen lag ein mittelgroßer, braun-weiß gefleckter Hund, der nervös hechelte.
    Klassisch, dachte Susanne. Der Alptraum eines jeden Hundebesitzers. Du gehst mit dem Köter spazieren, und wenn er anschlägt, glaubst du an ein Karnickel und findest eine Leiche!
    Der Streifenbeamte, der ihnen entgegenkam, bestätigte ihre Vermutung zum großen Teil. Der Hund war ins Gebüsch gestürmt, und als er nicht aufgehört hatte zu kläffen, war sein Besitzer hinterhergegangen.
    Dem Beamten standen plötzlich Tränen in den Augen, als er schloss: „Sie liegt in der Senke zum Bahndamm. Direkt am Ende der Böschung.“
    Susanne zog den Kragen ihres Wollmantels enger und ging los. Hellwein folgte ihr mit hochgezogenen Schultern. In der kalten Jahreszeit war es ihm weitaus lieber, wenn die Leute drinnen starben.
    Er erinnerte sich plötzlich daran, dass seine Eltern erzählt hatten, wie sie im Gremberger Wäldchen rumknutschten, bevor die Verlobung offiziell war. Damals musste das kleine Waldgebiet noch idyllisch gewesen sein. Heute aber war es eingekesselt von der A4 und zwei Eisenbahnlinien. Mitten hindurch führte zudem noch die Östliche Zubringerstraße, die verschiedene Autobahnkreuze verband. Das unablässige Rauschen der Autos und Züge, die in hohem Tempo vorbeidonnerten, ließen von der Idylle nicht mehr viel übrig.
    Obwohl sie den nächstgelegenen Parkplatz angefahren hatten, schien es Susanne, als müssten sie eine Ewigkeit über den ausgetretenen Weg laufen. Das Laub unter ihren Füßen war nass und rutschig. Sie spürte, wie Feuchtigkeit und Kälte durch die Nähte ihrer viel zu dünnen Schuhe drangen. Hinter ihnen fluchte ein Techniker, der einen schweren Generator schleppte.
    Auf halber Strecke, etwas abseits, lehnte ein Beamter an einem Baum und kotzte, was sein Magen hergab. Eine Kollegin hielt ihm den Kopf und redete auf ihn ein.
    Susanne blieb stehen und kramte in den Manteltaschen nach Zigaretten und Feuerzeug. Als sie endlich fündig geworden war, zündete sie sich mit fahrigen Bewegungen eine Zigarette an. Sie kannte den Beamten. Er war mindestens so lange im Dienst wie sie selbst, ein erfahrener Polizist, den so schnell nichts umwarf.
    Hellwein beobachtete die Szene mit unbewegtem Gesicht und murmelte: „Das kann ja heiter werden.“
    Susanne stieß den Rauch aus der Nase. „Bringen wir´s hinter uns.“
    Der Beamte, der an dem weiß-roten Absperrband zwischen dem Weg und einer steil abfallenden Böschung stand, zögerte kaum merklich, ehe er den beiden die obligatorischen Overalls aushändigte.
    In der Senke brummte schon ein Generator, und vereinzelte Scheinwerfer tauchten das Waldstück in unwirkliches Licht. Leise fluchend schlidderte Hellwein auf den glitschigen Blättern den Abhang hinunter. Susanne stakste in ihren dünnen Schuhen hinterher.
    Und dann sahen sie sie.
    „Oh Gott!“ Hellwein prallte unwillkürlich
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