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Mann im Dunkel

Mann im Dunkel

Titel: Mann im Dunkel
Autoren: Paul Auster
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Leben, und plötzlich bist du im Krieg.
    Tobaks Erklärungen machen Brick so konfus, dass es ihm die Sprache verschlägt.
    Die Sache ist die, quasselt der Sergeant weiter. Du bist der Trottel, den sie für den großen Job ausgesucht haben. Frag mich nicht, warum, aber der Generalstab meint, du seist der beste Mann für diesen Auftrag. Vielleicht, weil niemand dich kennt, oder vielleicht, weil du so einen … so einen … so einen faden Eindruck machst und niemand in dir einen Attentäter vermuten würde.
    Einen Attentäter?
    Ganz recht, einen Attentäter. Ich persönlich bevorzuge allerdings das Wort Befreier. Oder Friedensstifter. Nenn es wie du willst – ohne dich wird dieser Krieg niemals aufhören.
    Brick würde am liebsten auf der Stelle davonlaufen, aber da er unbewaffnet ist, fällt ihm nichts Besseres ein, als zunächst einmal mitzuspielen. Und wen soll ich umbringen?, fragt er.
    Die Frage lautet nicht Wen, sondern eher Was, antwortet der Sergeant dunkel. Wir kennen nicht einmal seinen Namen. Er könnte Blake heißen. Oder Black. Vielleicht auch Bloch. Aber wir haben eine Adresse, und falls er sich inzwischen nicht verdrückt hat, dürftest du keine größeren Schwierigkeiten haben. Wir bringen dich mit einem Kontaktmann in der Stadt zusammen, du arbeitest verdeckt, und in wenigen Tagen ist alles vorbei.
    Und womit hat dieser Mann den Tod verdient?
    Ihm gehört der Krieg. Er hat ihn erfunden, und alles, was geschieht oder geschehen wird, befindet sich in seinem Kopf. Ist dieser Kopf erst beseitigt, hört der Krieg auf. So einfach ist das.
    Einfach? Man könnte meinen, Sie reden von Gott.
    Er ist kein Gott, Corporal. Nur ein Mensch. Den ganzen Tag sitzt er in einem Zimmer und schreibt, und was er schreibt, wird Wirklichkeit. Die Nachrichtendienste berichten, er sei von Schuldgefühlen zerfressen, aber er könne dennoch nicht aufhören. Wenn das Schwein den Mut hätte, sich das Hirn selbst wegzupusten, müssten wir dieses Gespräch nicht führen.
    Sie behaupten also, das hier sei eine Geschichte, ein Mann schreibe eine Geschichte, und wir alle kämen darin vor.
    So ähnlich.
    Und wenn er tot ist – was dann? Der Krieg hört auf. Aber was wird aus uns?
    Alles kehrt in den Normalzustand zurück.
    Oder wir verschwinden einfach.
    Möglich. Aber dieses Risiko müssen wir eingehen, junger Mann. Schon jetzt haben wir über dreizehn Millionen Tote. Wenn das so weitergeht, ist bald die Hälfte der Bevölkerung ausgelöscht.
    Brick hat nicht die Absicht, jemanden zu töten, und je länger er Tobak zuhört, desto mehr ist er davon überzeugt, dass der Mann nicht ganz richtig im Kopf sein könne. Fürs Erste bleibt ihm jedoch nichts anderes übrig, als Verständnis zu heucheln und so zu tun, als sei er bereit, den Auftrag auszuführen.
    Sarge Serge schreitet zu dem Jeep, nimmt eine prallgefüllte Plastiktasche von der Ladefläche und reicht sie Brick. Deine neuen Klamotten, sagt er und weist den Zauberer mitten im freien Gelände an, seine Uniform auszuziehen und gegen die Zivilkleidung in der Tasche auszutauschen: ein Paar schwarze Jeans, ein blaues Oxford-Hemd, ein roter Pullover mit V-Ausschnitt, ein Gürtel, eine braune Lederjacke und schwarze Lederschuhe. Dann gibt er ihm einen grünen Nylonrucksack, in dem sich weitere Kleidungsstücke befinden, ferner Rasierzeug, Zahnbürste und Zahnpasta, eine Haarbürste, ein Revolver Kaliber achtunddreißig und eine Schachtel Munition. Als Letztes erhält Brick einen braunen Umschlag mit zwanzig Fünfzigdollarscheinen und einem Zettel, auf dem Name und Adresse seines Kontaktmanns stehen.
    Lou Frisk, sagt der Sergeant. Ein guter Mann. Sobald du in die Stadt kommst, suchst du ihn auf. Er wird dir alles sagen, was du wissen musst.
    Von welcher Stadt reden wir?, fragt Brick. Ich habe keine Ahnung, wo ich bin.
    Wellington, sagt Tobak, schwenkt nach rechts und zeigt in den dichten Morgennebel. Zwölf Meilen nach Norden. Halte dich einfach an diese Straße, dann wirst du am Nachmittag dort eintreffen.
    Ich soll zu Fuß gehen?
    Tut mir leid. Ich würde dich hinfahren, aber ich muss in die andere Richtung. Meine Männer warten schon.
    Und was ist mit Frühstück? Zwölf Meilen auf leeren Magen …
    Auch das tut mir leid. Ich hätte dir ein Eier-Sandwich und eine Thermoskanne Kaffee mitbringen sollen, aber das habe ich vergessen.
    Bevor er aufbricht, um sich seinen Männern anzuschließen, zieht Sarge Serge das Seil aus dem Loch, reißt den Eisenpflock aus dem Boden und wirft beides auf
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