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Manche Maedchen muessen sterben

Manche Maedchen muessen sterben

Titel: Manche Maedchen muessen sterben
Autoren: Jessica Warman
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Körper in ein gallertartiges Vakuum gesogen. Ich reiße meine Hand fast von seiner Schulter weg, doch gerade, als ich sie zurückziehen will, ist das Vakuum fort, ersetzt durch – oh Gott – die Kantine meiner Highschool.
    Es wimmelt nur so vor Schülern, doch ich entdecke meinen alten Tisch sofort: Er ist gleich neben der Kartoffeltheke, am hinteren Ende der Kantine, nahe der Doppeltür, die auf den Parkplatz hinausführt.
    »Da bist du«, sagt Alex und zeigt auf mich. »Du und die coole Truppe.«
    Ich kann mich selbst sehen; es ist beinahe, als wäre man in der Realität, obwohl man es nicht ist. Da bin ich, und hier bin ich auch und schaue mich selbst an. Ich sitze mit meinen besten Freunden zusammen: Richie, Josie, Caroline, Mera und Topher. Sie alle waren letzte Nacht mit mir auf dem Boot. Momentan sind sie immer noch an Bord und schlafen.
    »Oh Gott«, murmle ich. »Sieh dir mein Haar an.« Noch während mir die Worte über die Lippen kommen, weiß ich, wie lächerlich sie sich anhören.
    »Dein Haar ist toll.« Alex seufzt. »Es ist genauso wie das aller anderen.«
    Mir wird bewusst, dass er recht hat: Meine Freundinnen und ich tragen unser langes blondes Haar an den Seiten zurückgezogen, mit einem kleinen, hochdrapierten Dutt oben auf dem Kopf. Es ist das Resultat geschlagener zwanzig Minuten mühevollen Zurechtzupfens und Haarsprayens am Morgen. Ich erinnere mich, dass man diesen Look einen »Bump« nannte. Vor ein paar Jahren war das total angesagt. Die einzige Variation der Frisur zeigt sich in Carolines Haar, das mit roten und weißen Schleifen verziert ist, deren Ton genau zu den Farben ihrer Cheerleader-Uniform passt.
    »Welches Jahr ist das?«, frage ich. »Wir können nicht älter sein als …«
    »Sechzehn. Da waren wir in der Zehnten. Weißt du, woher ich das weiß?«
    »Woher?« Ich hasse es, das zugeben zu müssen, aber obwohl wir Geister sein mögen und obwohl ich weiß, dass uns niemand sehen kann, ist es mir irgendwie peinlich, mit Alex hier zu sein. Es ist, als hätte ich Angst, meine Freunde könnten jeden Moment zu uns rüberschauen und mich mit ihm sehen, um mich sogleich als Ausgestoßene zu brandmarken. Oh Gott – was würde Josie dazu sagen?
    Warum empfinde ich so? Und was für ein Mensch war ich überhaupt? Ich weiß, dass ich beliebt war, aber das Ganze ist seltsam; ich erinnere mich nicht genau, warum eigentlich, oder wie ich in meinem alltäglichen Leben war. Und mit einem Mal ist da ein Teil von mir, der das auch gar nicht wissen will.
    Alex sieht uns an. »Ich weiß, dass wir nicht älter als sechzehn sein können, weil ich noch lebe.« Er verpasst mir einen Rippenstoß. »Da komme ich.«
    Ich beobachte, wie er allein den Raum betritt. Er trägt sein Mittagessen in einer schlichten braunen Papiertüte.
    »Warum hast du dir dein Essen nicht einfach gekauft?«, frage ich. »In der Highschool bringt sich niemand mehr was von zu Hause mit.«
    Er wirft mir einen gereizten Blick zu.
    »Was ist?«, frage ich. Mir scheint das eine vollkommen legitime Frage zu sein.
    »Das Mittagessen in der Schule kostet vier Dollar am Tag«, sagt er. »Wir hatten kein Geld dafür.«
    Ich gaffe ihn an. »Du hattest keine vier Dollar am Tag?«
    »Nein. Meine Eltern waren sehr streng. Und sie waren wirklich knapp bei Kasse. Wenn ich etwas ausgeben wollte – und sei es auch nur für Kantinenessen in der Schule –, dann musste ich es mir verdienen. Und der Mystic Market, in dem ich gearbeitet habe, zahlte bloß den Mindestlohn.« Er schüttelt den Kopf. Beinahe scheint er mich zu bedauern. »Du weißt nicht, wie gut du es hattest. Nicht jeder kriegt immer alles, was er will, auf dem Silbertablett serviert. Und abgesehen davon war ich nicht der Einzige, der sein Essen mitgebracht hat.« Er zeigt hin. »Schau.«
    Wir folgen Alex quer durch den Raum zu einem leeren Tisch, nicht weit von mir und meinen Freunden entfernt. An einem anderen Tisch in der Nähe sitzt Frank Wainscott, ebenfalls allein. Frank ist ein Jahr älter als wir, was bedeutet, dass er in diesem Moment in der 11. Klasse ist. Er hat hellrotes Haar und Sommersprossen. Er trägt ein blaues T-Shirt und schlecht sitzende Jeans, die zu kurz für seine Beine sind. Und ich erinnere mich, dass er ein echter Blödmann ist. Genau wie Alex hat Frank sein Mittagessen von zu Hause mitgebracht. Doch auf seine braune Tüte hat jemand — vermutlich seine Mutter – mit schwarzem Marker seinen Namen geschrieben und ein Herz darum gemalt. Ich schäme mich so
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