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Manche Maedchen muessen sterben

Manche Maedchen muessen sterben

Titel: Manche Maedchen muessen sterben
Autoren: Jessica Warman
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Essenstüte zu inspizieren.
    Mein Magen fühlt sich leer an vor Scham und Schuld, als ich mein jüngeres Selbst betrachte, das genauso kichert wie meine ganzen Freunde, während Topher Frank quält.
    »Seht euch das an«, sagt Topher und hält Franks Sandwich hoch, damit es alle sehen können. »Mami hat es in Herz form zurechtgeschnitten. Wischt Mami dir auch den Popo ab, wenn du Kaka gemacht hast, Kleiner?«
    Franks Gesicht läuft tiefrot an. Ich erkenne, dass er sich bemüht, nicht loszuheulen. Am Tisch nebenan hört Alex mit stoischer Miene zu. Ich sehe, dass ihm das, was Topher mit Frank macht, nahegeht. Doch es wäre gesellschaftlicher Selbstmord, sich einzumischen.
    Ich presse eine Hand auf meinen Mund. »Alex«, sage ich. »Es tut mir leid. Ich weiß, dass wir alle gemein waren. Aber du musst mir glauben, dass ich mich an nichts davon erinnere.«
    »Es spielt keine Rolle, ob du dich daran erinnerst, Liz. Das ändert nichts an dem, was passiert ist.«
    »Aber es ist doch nicht so, als hätte ich selbst etwas getan. Ich meine, eigentlich war es Topher …«
    »Du hast recht«, unterbricht er mich, »du hast nichts getan. Du hast nie etwas getan, um ihm zu helfen. Das hättest du dich nicht getraut; dann wärst du vielleicht weniger cool rübergekommen. «
    Ich blinzle ihn an. »Du hast auch nichts getan.«
    »Was hätte ich schon tun können? Das Maul aufreißen, damit er mich in den Arsch tritt?« Er schüttelt den Kopf. »Nein, danke. Es war schon anstrengend genug, deine Freunde daran zu hindern, mir das Leben zur Hölle zu machen. Ich wollte mich nicht in Franks Probleme mit reinziehen lassen. Ich hatte genug eigene, glaub mir.«
    Einen Moment lang fehlen mir die Worte. Schließlich frage ich: »Du magst mich nicht sonderlich, oder? Alle mögen mich.«
    Er starrt mich an. »Du hast recht. Ich mag dich nicht, Liz.«
    Ich starre zurück. Als ich spreche, überrascht mich die Schroffheit in meiner Stimme. »Warum lässt du mich dann nicht in Ruhe?«
    »Nimm deine Hand von meiner Schulter.«
    Das tue ich. Und mir nichts, dir nichts sind wir wieder neben dem Boot; der Pier bewegt sich sanft unter uns, während wir einander finster anstarren.
    »Was machst du hier?«, frage ich ihn. »Wenn ich wirklich tot bin, warum bist du dann hier?«
    Er schüttelt den Kopf. »Ehrlich, ich weiß es nicht. Ich schätze, weil ich auch tot bin. Weil ich schon seit einem Jahr hier bin und nur darauf gewartet habe, dass noch jemand auftaucht. Glaub mir, ich will auch nicht hier sein. Ich wäre lieber mit jedem anderen zusammen als mit dir.«
    Zum ersten Mal, seit ich meine Leiche im Wasser entdeckt habe, kommt mir die Situation wirklich vor. Die Wahrheit scheint unbestreitbar. Ich träume nicht. Dies ist kein Alptraum, aus dem ich gleich erwachen werde. Ich bin tot.
    Und dann kommt mir etwas in den Sinn – ich weiß nicht, warum ich nicht gleich daran gedacht habe. In dem Moment, als die Worte über meine Lippen kommen, fühle ich, dass ich wieder anfange zu weinen. Tote können weinen. Wer hätte das gedacht?
    »Alex«, frage ich, »gibt es noch andere Leute … hier drüben? Können wir andere Leute sehen?«
    »Was meinst du damit?«
    »Andere Leute, die … du weißt schon.«
    »Andere Tote?« Er schüttelt den Kopf. »Ich glaube nicht.«
    »Aber du kannst mich sehen.«
    »Ich weiß. Du bist meine erste.« Er hält inne. »Warum willst du das wissen? Warum weinst du?«
    »Warum ich weine?« Ich wische mir die Augen ab, obwohl mir meine Tränen vor Alex nicht mehr peinlich sind. Ich denke an meine Eltern – an meinen Dad und an meine Stiefmutter, Nicole –, an meine Freunde an Bord des Boots, und ich frage mich, wann sie aufwachen und mich finden werden. Doch vor allem denke ich an meine Mutter. An meine richtige Mutter.
    »Wegen meiner Mom«, erkläre ich ihm. »Sie starb, als ich neun war. Ich dachte nur, dass ich sie vielleicht … «
    »Dass du sie hier sehen könntest?« Er zuckt die Schultern. »Ich weiß es nicht, Liz. Hey — weine nicht, okay?« Seine Stimme klingt alles andere als tröstlich. Wenn überhaupt, scheint ihn mein Gefühlsausbruch ein bisschen zu ärgern. »Du brauchst nicht traurig zu sein. Ich bin zwar kein Fachmann oder so was, aber ich habe das Gefühl, dass diese Situation – du weißt schon, dass wir hier festsitzen – bloß vorübergehend ist.«
    Ich heule weiter. »Und was dann?«, will ich wissen. »Sollst du mein Führer ins Jenseits sein oder so was? Denn wenn das der Fall ist, dann machst
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