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Manche Maedchen muessen sterben

Manche Maedchen muessen sterben

Titel: Manche Maedchen muessen sterben
Autoren: Jessica Warman
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    Es ist kurz nach zwei Uhr nachts. Außerhalb der Elizabeth ist alles relativ ruhig. Boote – eigentlich Jachten – sind an den Piers vertäut; saubere weiße Bojen schützen ihre Fiberglas-und Porzellanaußenwände vor dem Holz. Das Plätschern des Long-Island-Sunds – kleine Wellen, die gegen die Boote und das Ufer schlagen – bildet ein konstantes Hintergrundgeräusch. Bei den anderen Booten mit Namen wie Wohlverdient , Ungestörtheit und Gutes Leben scheint alles friedlich.
    Doch nicht an Bord der Elizabeth . Hier herrscht ständige Unruhe. Das Boot ist eine zwanzig Meter lange Segeljacht, ausgestattet mit einer richtigen Küche, zwei Bädern, zwei Schlafzimmern und außerdem genügend Platz, um insgesamt zwanzig Leute unterzubringen. Heute Nacht sind es allerdings bloß sechs. Es ist eine kleine Party; meine Eltern hätten nicht erlaubt, dass ich eine große schmeiße. Ich glaube, alle schlafen, abgesehen von mir.
    Seit zwanzig Minuten starre ich jetzt auf die Uhr und lausche diesem lästigen Tschumb, Tschumb, Tschumb gegen die Bootswand. Es ist später August. Die Luft draußen ist bereits ziemlich kühl und das Wasser ohne Zweifel eisig. Aber so ist Connecticut nun mal; im Juli wird das Wasser zwar für einen guten Monat warm, doch gegen Ende des Sommers ist es schon wieder abgekühlt. Manchmal scheint es, als würde es in der Gegend hier nur zwei Jahreszeiten geben: Winter und Fast-Winter.
    Trotz der Wassertemperatur bin ich mir ziemlich sicher, dass da draußen ein Fisch ist, der zwischen dem Pier und dem Boot festsitzt, gegen das Fiberglas schlägt und versucht, sich zu befreien. Der Krach dauert jetzt schon eine gefühlte Ewigkeit. Um genau 1:57Uhr hat er mich geweckt, und die Sache fängt langsam an, mich verrückt zu machen.
    Schließlich halte ich es nicht länger aus. Tschumb. Tschumb-Tschumb. Wenn das ein Fisch ist, dann ist es ein äußerst dummer Fisch.
    »Hey? Hörst du das?«, sage ich zu meiner besten Freundin und Stiefschwester Josie, die neben mir auf der Ausziehcouch im vorderen Teil des Bootes schläft; ihr schmutzigblondes, gesträhntes Haar klebt an ihrer Wange. Sie antwortet nicht, sondern schnarcht einfach leise weiter. Um kurz nach Mitternacht hatte sie eine Alkohol-Marihuana-Kombination außer Gefecht gesetzt. Genau genommen hatte sie uns alle ins Bett befördert, noch bevor das Spätprogramm richtig anfangen konnte. Das Letzte, woran ich mich vor dem Einschlafen erinnere, ist, dass ich versuchte, die Augen offenzuhalten. Ich murmelte Josie zu, dass wir bis 1:37Uhr wachbleiben müssten, weil ich genau da zur Welt gekommen bin, doch dann schliefen wir ein. Keiner schaffte es. Zumindest ich nicht, das weiß ich.
    In der Beinahedunkelheit stehe ich auf. Das einzige Licht an Bord des Bootes stammt vom Fernseher, wo gerade ohne Ton ein Werbespot für den SuperSchrubber! läuft.
    »Ist irgendwer wach?«, frage ich, noch immer mit leiser Stimme. Das Boot schaukelt auf den Wellen, die vom Long-Island-Sund heranrollen. Tschumb-Tschumb-Tschumb. Da ist es wieder.
    Ich schaue auf die Uhr: Es ist 2:18Uhr. Ich lächle, denn jetzt bin ich offiziell seit über einer halben Stunde achtzehn.
    Wäre dieses dumpfe Pochen nicht, könnte sich das Schaukeln des Bootes anfühlen, als würde man in einer Wiege in den Schlaf gewiegt. Dies ist so ziemlich mein Lieblingsort auf der Welt. Und mit meinen Freunden hier zu sein, macht es noch besser, falls das überhaupt möglich ist. Alles wirkt friedlich und ruhig. Die Stille der Nacht fühlt sich heute beinahe magisch an.
    Tschumb.
    »Ich gehe raus, um einen Fisch zu befreien«, verkünde ich. »Kommt jemand mit?«
    Aber niemand regt sich, keiner von ihnen.
    »Was für ein Haufen egoistischer Saufköpfe«, murmle ich. Aber das ist nicht ernst gemeint, und außerdem kann ich auch allein rausgehen. Ich bin ein großes Mädchen. Und da ist nichts, wovor man Angst haben müsste.
    Ich weiß, dass sich das scheinheilig anhört, da wir getrunken und geraucht haben, aber es stimmt: Wir sind nette Kids. Noank in Connecticut ist eine sichere Stadt. Alle an Bord sind gemeinsam hier aufgewachsen. Unsere Familien sind befreundet. Wir lieben einander. Während ich sie mir alle so anschaue – Josie vorne im Boot; Mera, Caroline, Topher und Richie hinten am Heck in Schlafsäcken auf dem Boden –, kommt mir das Leben im Innern der Elizabeth vor wie ein verschwommener Traum.
    Elizabeth Valchar. Das bin ich; meine Eltern haben dieses Boot nach mir benannt, als ich sechs Jahre
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