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Manche Maedchen muessen sterben

Manche Maedchen muessen sterben

Titel: Manche Maedchen muessen sterben
Autoren: Jessica Warman
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es gibt keinen Grund, so zu tun, als würden wir miteinander auskommen, oder?
    Alex nickt in Richtung Boot. »Es geht los. Jetzt fängt die Sache an, interessant zu werden.«
    Ich drehe mich um. An Deck der Elizabeth steht mein Freund Richie Wilson, der nichts anhat, außer einem Paar karierter Boxershorts.
    »Richie«, sage ich und beginne wieder zu weinen. Ich hebe die Stimme, um ihm zuzurufen: »Richie!«
    »Er kann dich nicht hören.« Alex seufzt. »Du bist auch nicht gerade das hellste Schaf im Stall, was?«
    »Das ist nicht mal eine richtige Metapher«, schnappe ich, ohne meine Aufmerksamkeit von Richie abzuwenden. »Richtig heißt es: nicht das hellste Licht im Hafen .«
    »Stimmt.« Alex nickt. »Aber du bist ein Schaf. Ich bin nicht dämlich, ich habe die Metapher bloß so abgeändert, dass sie zu dir passt.«
    »Oh, halt die Klappe. Richie!«, schreie ich wieder. Alex schüttelt den Kopf.
    »Liz?«, ruft Richie leise und sieht sich um. Er schlingt seine Arme um sich, zitternd in der kühlen Morgenluft. »Liz, bist du hier draußen?«
    Ich schreie seinen Namen, wieder und wieder, bis ich so erschöpft bin, dass ich das Gefühl habe, jeden Moment zusammenzubrechen. Offensichtlich kann er mich nicht hören.
    Richie schaut sich noch ein paar Minuten lang um. Er scheint sich keine Sorgen zu machen; und warum sollte er auch? Zu Fuß sind es keine zwei Minuten vom Boot zu meinem Elternhaus. Er wird annehmen, dass ich früh aufgewacht und laufen gegangen bin. Ich bin mir sicher, dass ihm nicht im Traum einfallen würde, dass ich weniger als drei Meter von ihm entfernt stehe, praktisch direkt neben ihm. Oder dass ich zugleich auch im Wasser bin, unter ihm.
    Er wartet noch einige Sekunden. Dann geht er wieder hinein, vermutlich, um sich wieder schlafen zu legen, und zieht die Schiebetür hinter sich zu. Richie und ich kennen uns schon seit dem Sandkasten. Wir sind in derselben Straße aufgewachsen. Seit der 7. Klasse waren wir ein Paar. Wir lieben einander. Irgendwo, tief in mir drin, weiß ich das alles. Es sind Einzelheiten, von denen ich weiß, dass ich sie niemals vergessen werde.
    »Verflucht nochmal«, flüstere ich, während ich zusehe, wie er zurück ins Boot schlüpft. Ich wische mir noch mehr Tränen aus den Augen.
    »Mach dir keine Sorgen«, sagt Alex.
    »Sorgen worüber?«
    »Er wird’s noch früh genug erfahren.«
    »Er wird nie wieder derselbe sein«, murmle ich. »Keiner von ihnen.«
    »Vermutlich hast du recht. Wie soll nur irgendeiner deiner Freunde ohne dich klarkommen?«
    Ich beschließe, seinen Sarkasmus fürs Erste zu ignorieren; ich muss mich mit wichtigeren Dingen auseinandersetzen. »Was machen wir jetzt?«, frage ich. Die Sonne strahlt zunehmend heller, spiegelt sich auf dem Wasser. Hinter dem Boot, hinter dem Pier, sehe ich, wie in der Stadt Noank die ersten Lichter angehen.
    »Wir warten«, sagt er. Er folgt meinem Blick. Gemeinsam betrachten wir unsere kleine Stadt, in der sich immer alles so sicher angefühlt hat. »Jetzt wird es nicht mehr lange dauern«, sagt er, »bevor jemand deine Leiche findet.«
    »Und was dann?«, flüstere ich.
    Er zögert, während er über die Frage nachdenkt. »Dann finden wir heraus, was mit dir passiert ist.«
    »Tun wir das?«
    »Ja.« Eine weitere Pause, diesmal noch länger als zuvor. »Vielleicht.«

3
    Doch es dauert noch eine ganze Weile, bis mich jemand findet. Und als es schließlich so weit ist, ist es schrecklich. Alex und ich warteten, bis die Sonne ganz aufgegangen war, bevor wir beschlossen, an Bord des Bootes zu gehen. Ich weiß nicht, warum es so lange dauerte, bis uns diese Idee kam. Während wir auf dem Pier sitzen und zusehen, wie meine Freunde drinnen herumhantieren, sage ich: »Ich wünschte, ich könnte hören, worüber sie reden.«
    »Oh, das können wir«, sagt er. »Wir können reingehen.«
    Ich schaue ihn an, ohne etwas zu sagen. Stattdessen stehe ich einfach auf, um hineinzugehen.
    Doch als ich die Glasschiebetür erreiche, bleibe ich stehen. »Die Tür ist zu, du Genie«, sage ich. »Wie soll ich da reinkommen? «
    »Du bist tot, Einstein«, entgegnet er fröhlich. »In der physischen Welt existierst du nicht mehr. Die alten Regeln gelten also nicht für dich. Geh einfach hindurch.«
    Ich zögere. Dann strecke ich zaghaft die Hand aus und keuche, als ich sehe, dass Alex recht hat – dort, wo sich die Tür befindet, ist ein Gefühl der Kühle, doch meine Hand geht direkt hindurch.
    Mein physischer Körper ist immer noch da, wo er
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