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Manche Maedchen muessen sterben

Manche Maedchen muessen sterben

Titel: Manche Maedchen muessen sterben
Autoren: Jessica Warman
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ausmachen. Und obwohl sie lächelt, offensichtlich erfreut darüber, eine Nachbarin kennenzulernen, haftet dem Blick meiner Mutter etwas Trauriges an. Sie wirkt müde; unter ihren Augen sind dunkle Ringe. Und sie sieht hungrig aus.
    Richie und ich sind bereits Freunde. Ich lächle, als ich uns ansehe, und Tränen brennen in meinen Augen. Beim Schaukeln halten wir Händchen. Er hat dunkles, lockiges Haar und volle, rote Lippen. Eines Tages werden diese Lippen mich küssen, wenn wir beide vier Jahre alt sind. Und dann wieder, wenn wir zwölf sind – ihn habe ich zum ersten Mal richtig geküsst. Er ist der Einzige, den ich je so geküsst habe. Während ich dastehe und uns vier betrachte, wird mir bewusst, dass ich mich nicht an alles von dem erinnere, was zwischen Richie und mir war, besonders nicht an Dinge aus der jüngsten Vergangenheit. Aber ich erinnere mich an genug, um zu wissen, dass ich ihn liebte. Dessen bin ich mir sicher.
    »Liz? Hey, bist du da?« Das ist Alex’ Stimme. Wieder habe ich das Gefühl, durch ein Vakuum gesaugt zu werden. So schnell, wie die Erinnerung begann, ist sie auch wieder vorüber.
    »Ich habe ihn gesehen«, sage ich atemlos. »Und ich habe meine Mom gesehen, und Richies Mom. Wir waren Kleinkinder. «
    Alex wirkt nicht sonderlich überrascht, sondern gibt sich wieder völlig gleichgültig. »Tatsächlich? Das hast du alles gesehen? «
    Ich nicke und merke, dass ich immer noch weine. Es fühlt sich an, als würde ich nie wieder damit aufhören. Mein Atem geht abgehackt; ich bin überwältigt von Emotionen, die so schnell aufeinander folgen, dass mir kaum die Zeit bleibt, sie zu verarbeiten. Das alles wirklich begreifen zu können ist schlicht zu viel verlangt für ein junges Mädchen, besonders an einem schönen Sommermorgen wie diesem. »Ich habe Richie angesehen, an ihn gedacht, und mit einem Mal war ich dort. Damals sind wir einander zum ersten Mal begegnet, auf dem Spielplatz.«
    »Oh.« Alex blinzelt. »Wie nett für dich.« Aber dann hält er inne. »Nicht alle Erinnerungen werden gute sein, Liz. Das ist dir doch klar, oder?«
    Ich verschränke die Arme. »Warum sagst du so was? Für einen Moment war ich glücklich! Und du musst es gleich wieder kaputtmachen.« Ich habe das Gefühl, mich verteidigen zu müssen, obwohl ich nicht ganz sicher bin, warum. Ich weiß nur eins: Auf dieser Existenzebene werden Alex Berg und ich niemals die besten Freunde sein. »Was ist los mit dir? Ich bin tot , Alex. Mein Tag ist auch so schon bescheiden genug.«
    »In Ordnung, krieg jetzt keinen hysterischen Anfall.« Sein Tonfall ist viel zu locker, wie ich verärgert feststelle. Als wäre die ganze Geschichte bloß eine willkommene kleine Abwechslung für ihn. »Ich wollte nur, dass du darauf vorbereitet bist. Mehr nicht.«
    Ich zucke die Schultern. Eigentlich spielt es keine Rolle; ich habe gerade meine Mom wiedergesehen! Und sie war so jung, so … lebendig. Sie hat mich berührt, sich um mich gekümmert. Mich geliebt. Ihre einzige Tochter.
    »Wie habe ich ausgesehen?«, frage ich Alex. »Du weißt schon, als ich gerade weggetreten bin?« Das Gefühl durchdringender Kälte ist zurückgekehrt. Ich glaube nicht, dass ich mich je daran gewöhnen werde.
    Alex zuckt nur die Schultern. »Da war nichts Seltsames dabei. Du hast ihn bloß angestarrt. Richie, meine ich.«
    »Oh.« Ich zögere. »Und wie lange?«
    »Ein paar Minuten.«
    »Wirklich?«, frage ich. Es hat sich nicht so lange angefühlt. »Was habe ich verpasst?«
    »Nun, sie haben Mera zu eurem Haus hochgeschickt, um nach dir zu suchen.«
    Die Worte sind kaum über seine Lippen gekommen, als wir von draußen einen sehr lauten Schrei hören.
    Meine Freunde richten sich ruckartig auf. Sie wirken verängstigt. Ich studiere einen Moment lang ihre Gesichter, versuche, mir darüber klar zu werden, ob einer von ihnen anders aussieht, möglicherweise ein bisschen schuldbewusst. Doch ich tue den Gedanken so schnell wieder ab, wie er mir gekommen ist. Dies sind meine besten Freunde. Ich wurde nicht umgebracht.
    Aber andererseits: Wie ist es möglich, dass ich ertrunken bin?
    Mera hört nicht auf zu schreien, nicht einmal, nachdem meine Freunde hinausgegangen sind, um nach ihr zu sehen. Und dann höre ich sie, sie alle, wie sie reagieren, als sie mich sehen.
    Es ist das pure Grauen. Ich schließe die Augen.
    »Willst du nach draußen gehen?«, fragt Alex in zaghaftem Ton. Er kennt die Antwort darauf bereits.
    Ich schüttle den Kopf. Als ich schließlich
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