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Hunkelers erster Fall - Silberkiesel

Hunkelers erster Fall - Silberkiesel

Titel: Hunkelers erster Fall - Silberkiesel
Autoren: Hansjörg Schneider
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Der Intercity Frankfurt–Basel rollte durch die oberrheinische Tiefebene, ein schöner, schlanker Zug. Es war Mitte Februar, der Schnee lag fingerhoch auf den kahlen Rebstöcken, die sich ostwärts den Hang hinaufzogen. Eine Bilderbuchlandschaft, in der einige Krähen herumflatterten und spitzgieblige Dörfer herumstanden.
    Guy Kayat, ein fünfunddreißigjähriger Libanese in hellem Kamelhaarmantel, stand im Gang des fahrenden Waggons, hinter sich das leere Abteil mit seinem reservierten Platz, neben sich auf dem Boden die schwarze Reisetasche aus afrikanischem Antilopenleder, vor sich das breitflächige Fenster. Er hatte die linke Hand auf die leicht vorspringende Fensterumrandung gestützt, um die Fahrbewegung besser auspendeln zu können, die rechte Hand hielt eine Zigarette. Er fühlte sich müde, da er am frühen Morgen in Nikosia nach Frankfurt am Main abgeflogen war. In Nikosia war es angenehm warm gewesen, der Himmel blau, und jetzt dieses Grau da draußen und diese Kälte. Wie können Menschen in diesem unfreundlichen Klima leben, fragte sich Kayat, warum wandern sie nicht aus? Für ihn selber war das kein Problem, er hatte vor, nur wenige Tage in Basel zu bleiben, er war auf Geschäftsreise.
    Der Zug preschte in einen Tunnel hinein, Kayat lehnte sich zurück, um dem scheppernden Geräusch zu entgehen. Er ließ die Zigarette zu Boden fallen und trat sie aus. Nervös schaute er durch den leeren Gang nach vorn, dann nach hinten. Niemand war zu sehen. Kayat griff sich an die Krawatte, prüfte den Knopf, der einwandfrei am Hemdkragen saß. Alles in Ordnung, und auch der Rest der Reise würde problemlos sein.
    Als der Zug wieder ins Freie hinausfuhr und das Scheppern schlagartig aufhörte, erschienen im hinteren Teil des Ganges zwei Männer, in unauffälliges Grau gekleidet. Kayat sah sofort, dass es zwei Beamte waren. Einer der beiden zog die Tür des ersten Abteils auf und trat ein. Der andere schaute scheinbar gelangweilt nach vorn zu Kayat.
    Kayat spürte, wie sein Mund trocken wurde. Er kannte dieses Gefühl, er wusste, dass er jetzt ruhig am Fenster stehen bleiben und abwarten musste. Es war ganz normal, dass Beamte des schweizerischen Zollamtes die Reisenden nach Basel kontrollierten, er war darauf vorbereitet. Ruhe bewahren, freundlich lächeln und sich unter keinen Umständen etwas anmerken lassen, das war schließlich sein Beruf.
    Kayat nahm sich eine neue Zigarette aus der Schachtel und zündete sie an. Seine rechte Hand mit dem Feuerzeug zitterte, in den Achselhöhlen brach ihm der Schweiß aus. Was war das? Warum verlor er die Nerven?
    Er zog den Rauch tief in die Luftröhre hinunter. Dann drehte er den Kopf nach links zu den Männern. Einer war offenbar immer noch im Abteil. Der andere stand breitbeinig im Gang, in der Hand ein dickes schwarzes Buch, das er aus der Mappe genommen hatte, die zu seinen Füßen stand. Er blätterte sorgfältig darin, bis er die richtige Seite fand, nahm dann einen Stift aus der Jackentasche und schrieb etwas hinein. Er versorgte den Stift wieder, klappte das Buch zu und schaute durch den Gang nach vorn, mit leicht zusammengekniffenen Augen, wie es schien, als ob dort etwas Auffälliges zu sehen wäre.
    Kayat wusste, dass er hierzulande eine auffällige Erscheinung war, schließlich war er Araber. Er kannte diese versteckten Blicke zur Genüge, die seiner Person galten, wenn er durch die Straßen Frankfurts ging, diesen heimlichen, kaum eingestandenen kleinen Hass, der sich sogleich hinter verlogen aufgesetzte Freundlichkeit zurückzuziehen pflegte. Die Menschen waren eben Rassisten, hier und anderswo, auch wenn sie das nie und nimmer zugeben würden. Sie waren Rassisten, weil sie in sich selber, in ihrer eigenen weißen oder andersfarbigen Haut unsicher waren und deshalb alles Fremde als Bedrohung empfanden. Schlimm war das nicht. Und wenn man sich korrekt verhielt und immer genug Geld bei sich trug, wurde man auch als Araber korrekt behandelt.
    Aber jetzt, als der Beamte sein schwarzes Buch eingesteckt hatte und sich entschlossenen Schrittes näherte, verlor Kayat die Nerven. Er fing an zu husten, als ob ihm der eingesogene Tabakrauch die Luftröhre ätzen würde. Er beugte den Oberkörper nach vorn und hustete, dass ihm die Tränen kamen. Er trat die Zigarette auf dem Boden aus, zog ein weißes Taschentuch aus der Hosentasche, hielt es sich hustend und fast erbrechend vor den Mund, packte die Reisetasche und ging schnell durch den Gang nach vorn. Als er am Wagenende
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