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Manche Maedchen muessen sterben

Manche Maedchen muessen sterben

Titel: Manche Maedchen muessen sterben
Autoren: Jessica Warman
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lang?«
    »Nun, nicht genau. Da ist noch etwas anderes.« Er zögert. »Das, was ich dir gerade gezeigt habe. Du kannst in Erinnerungen eintauchen. Du kannst zurückgehen und dich selbst betrachten. Weißt du noch, wie du sagtest, dass du dich nicht an alles aus der Zeit erinnerst, als du am Leben warst?«
    »Ja. Warum ist das so? Weißt du es?«
    Er scheint nachzudenken. »Ich bin mir nicht sicher. Aber ich habe eine Theorie.«
    Ich schaue ihn an. Für eine Weile sagt er nichts.
    »Und?«, forsche ich. »Wirst du es mir erzählen oder sollen wir hier einfach weiter so rumstehen?«
    Er seufzt. »In Ordnung. Aber es könnte sich seltsam anhören. Wie ich schon sagte, es ist nur eine Theorie.«
    »Schieß los.«
    »Also, wir sind hier. Auf der Erde. Wir sind nicht … irgendwo anders.«
    »Was meinst du damit? Dass wir nicht im Himmel sind?«
    Alex nickt. »Himmel, Hölle … Du preschst schon wieder zu weit voraus. Worauf ich hinauswill, ist, dass wir aus einem ganz bestimmten Grund hier festsitzen. Wir sind beide jung gestorben. Und wir wollen beide wissen, warum, richtig?«
    »Natürlich«, sage ich.
    »Nun, als ich ernsthaft anfing, darüber nachzudenken, woran ich mich erinnern kann, fiel mir etwas auf. Es war, als könnte ich mich bloß an banale Dinge erinnern. Ich erinnerte mich an die Leute. Ich wusste einiges von dem, was passiert ist. Aber ich konnte mich an nichts … Wichtiges erinnern. Jedenfalls anfangs nicht.« Er nimmt einen tiefen Atemzug. »Ich denke, wir sollen etwas in Erfahrung bringen, vielleicht sogar etwas lernen. Nicht nur, wie wir gestorben sind; ich denke, dass wir, ich weiß nicht recht, ein gewisses tieferes Verständnis dafür entwickeln sollen. Bevor wir weiterziehen können.« Er hält inne. »Ergibt das irgendeinen Sinn?«
    Im Moment ergibt für mich gar nichts einen Sinn. Doch das will ich ihm gegenüber nicht zugeben. »Okay«, sage ich. »Du bist jetzt schon seit fast einem Jahr tot. Was hast du bislang herausgefunden?«
    Er wendet den Blick ab. »Einiges.«
    »Hast du gesehen, was dir in der Nacht, in der du starbst, zugestoßen ist?«
    »Noch nicht.«
    »Wie bitte?« Ich kreische die Worte beinahe. »Nach einem ganzen Jahr ?«
    »Vielleicht läuft’s bei dir ja anders! Ich weiß es nicht. Ich sage dir bloß, was ich denke, in Ordnung?«
    Düster starre ich ihn an. Das Letzte, was ich gebrauchen kann, ist, jetzt ein Jahr lang in irgendeiner Art irdischer Vorhölle gefangen zu sein. Da muss es doch noch mehr geben. Oder nicht?
    »Ich kann dir noch andere Dinge sagen«, bietet Alex an.
    Ich bin so frustriert, dass ich das Gefühl habe, gleich wieder weinen zu müssen. »Und welche?«
    »Nun«, sagt er. »Bist du vielleicht müde?«
    Ich nicke. »Hundemüde.«
    »Ja, ich auch. Aber du wirst feststellen – zumindest ist es bei mir so –, dass du nicht schlafen kannst. Stattdessen passiert etwas anderes.«
    »Was? Dass ich in weitere Erinnerungen eintauche? Dass ich mich an Dinge entsinne?« Langsam geht die Sonne auf. Die Zeit vergeht rasch; ich habe den Eindruck, erst seit zehn Minuten hier draußen zu sein, doch es müssen Stunden gewesen sein.
    Alex kratzt sich nachdenklich am Kopf. »Du weißt doch, dass es heißt, wenn man stirbt, würde dein Leben noch einmal blitzartig vor deinen Augen vorbeiziehen?«
    Ich nicke.
    »Dies ist so ähnlich. Außer dass es viel … langsamer vonstattengeht. Du wirst richtig müde, als würdest du gleich einschlafen. Du schließt die Augen. Aber du schläfst nicht ein. Stattdessen siehst du Dinge.«
    »Was für Dinge?«
    »Dinge aus deinem Leben. Manchmal sind es bloß zufällige Erinnerungen. Andere Male sind sie wichtiger. Es ist, als würde man ein Puzzle zusammensetzen. Du siehst zu, wie Dinge passieren, und wenn du sie von außen betrachtest, kannst du sie besser verstehen. So wie das, was ich dir in der Kantine gezeigt habe.«
    »Aber du weißt immer noch nicht, wer dich angefahren hat?«
    »Nein. Noch nicht.«
    Ich ziehe eine Schnute. »Bist du wenigstens dicht davor, es rauszufinden?«
    Er nickt. »Ja, ich bin dicht davor.« Dann fügt er hinzu: »Aber bei dir ist vielleicht alles ganz anders. Ich weiß es nicht.«
    »Also, du bist mir ja eine große Hilfe. Besten Dank auch.«
    »Willst du einen gutgemeinten Rat?«, fragt er.
    »Oh bitte. Du hast schon so viel für mich getan.« Meine Stimme brodelt vor Ärger und Sarkasmus. Die Überraschung über meine anfängliche Grobheit habe ich überwunden. Alex und ich sind keine gute Mischung. Und
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