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Commissario Pavarotti trifft keinen Ton - Kriminalroman

Commissario Pavarotti trifft keinen Ton - Kriminalroman

Titel: Commissario Pavarotti trifft keinen Ton - Kriminalroman
Autoren: Elisabeth Florin
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Prolog
    Wie fühlt es sich an, wenn du glaubst, gleich sterben zu müssen?
    Meiner persönlichen Statistik zufolge sind es ganz schön viele, die eines Tages völlig überraschend mit diesem Gefühl konfrontiert werden. Für einige bekommt der Moment der Wahrheit eine endgültige Bedeutung. Bei anderen verblasst die Antwort auf diese Frage wie eine alte Narbe, immer mehr, je länger es ihnen gestattet ist, weiterzuatmen.
    Natürlich gibt es welche, an die schleicht sich dieses Gefühl immer wieder an, vielleicht im Flugzeug, wenn der Pilot die Passagiere mit betont ruhiger Stimme zum Anschnallen auffordert, weil eine Gewitterfront naht. Andere erwischt es frontal, in einem Auto am Rand einer Landstraße, kurz nach einem Beinahe-Zusammenstoß mit hundertzwanzig Stundenkilometern. Die Hände umklammern das Steuerrad, damit das Zittern aufhört, und man spürt diese eine Sekunde, als der Lkw um die Kurve biegt, noch ganz deutlich auf der Zunge, wie einen metallisch schmeckenden Belag. Und man würgt, kann sich aber keine Erleichterung verschaffen.
    Woher ich so etwas weiß? Ich bin ein Nachrichtenjunkie, wenn’s um Katastrophen geht. Wenn Menschen am Bildschirm verunglücken oder sterben, bin ich am Start. Erdbeben, Massenkarambolagen auf der Autobahn, Amokläufer in Schulen, Fallschirmspringer, die wie ein Sack voll Knochen auf den Boden plumpsen. Ich bin da nicht wählerisch. Außerdem kriegt man in einem Beruf wie dem meinen viel erzählt und trifft eine Menge Leute. Ich habe es mir zur Gewohnheit gemacht, Menschen zu beobachten. Ich krieche in ihre Köpfe, taste ihre Gesichtszüge ab, lese ihre Gedanken.
    Die Ängstlichen, die immer glauben, gleich geht’s ab in die Kiste, dünsten so eine Mischung aus Erleichterung und Scham aus, wenn sie das Flugzeug entgegen ihrer Erwartung mal wieder lebend verlassen. Ich sehe, wie sie sich verstohlen umsehen und kann fast hören, wie sie sich »Du Blödmann« zuflüstern, und der Himmel soll verdammt noch mal aufhören, so unverschämt blau zu sein.
    Dann gibt es die richtigen Mannsbilder. Die legen schon eine halbe Stunde nach dem Beinahe-Crash eine geradezu lächerlich wirkende Protzerei an den Tag, dass die Sache eh gut ausgegangen wäre. Der neue Porsche beschleunigt und bremst schließlich phänomenal. Außerdem, mit seiner Knautschzone war er letztens Testsieger. Ich nicke dann stets zustimmend. Aber klar doch.
    Ob so oder so, wenn es vorbei ist, wollen alle den ekligen Geschmack nach Tod möglichst schnell loswerden. Das eigene Gedächtnis klinisch sauber desinfizieren. Sicher, es gibt unter den ganz knapp Vorbeigeschrammten immer mal wieder welche, die ihr Leben völlig umkrempeln, aussteigen, religiöse Fanatiker werden oder so. Das ist aber die Ausnahme. Die meisten suchen fieberhaft nach der Löschtaste für die körpereigene Festplatte, sobald sie sich einigermaßen berappelt haben.
    Sich auf das Gefühl einzulassen, dass die nächste Sekunde die letzte sein kann, ist wie ein gefährlicher Flirt mit dunklen Mächten, eine Art Ehebruch am eigenen piefigen Stück Lebensglück. Anschließend, bei hellem Tageslicht, kriecht man mit eingezogenem Schwanz zurück zum heimischen Herd. Ein Blick zurück, erleichtert, und dann verschämt pfeifend aus der Tür.
    Für mich gilt das alles natürlich nicht. Diese eine Frage, wie es so kurz vor dem Sterben wohl ist, rumort unablässig in meinem Kopf. Seit ein paar Monaten ist sie geradezu, nun ja, zu einer fixen Idee geworden. Warum ausgerechnet dieses Thema mich derart beschäftigt, ist mir selbst ein Rätsel. Ich habe sonst wirklich Besseres zu tun, als im Innenleben meiner Mitmenschen herumzuwühlen.
    Vor ein paar Wochen musste ich es mir dann eingestehen: Erlebnissen aus zweiter Hand hinterherhecheln, diese ameisenhafte Informationssammelei, das Beobachten und Ausspionieren, alles für die Katz. Auf diese Weise bleibe ich ewig der Gaffer am Rande. Ich recke und strecke mich nach der Wahrheit, doch sie bleibt unerreichbar hinter dem Absperrseil der Polizei und grinst mich an.
    Ich brauchte nicht lang, um draufzukommen. Die Lösung liegt ja auf der Hand. Ich werde ein wissenschaftliches Experiment durchführen, eine Art Fallstudie, bei der ich die Versuchsanordnung genau bestimmen kann. Dass im Verlauf dieser Studie jemand zu Tode kommt, lässt sich natürlich nicht vermeiden, aber davon darf ich mich nicht abhalten lassen.
    Gestern ist mir eingefallen, dass ich das perfekte Studienobjekt ja schon zur Verfügung habe. Vor
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