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Mit sich selbst befreundet sein

Mit sich selbst befreundet sein

Titel: Mit sich selbst befreundet sein
Autoren: Wilhelm Schmid
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Einleitung
    »Wovon handelt denn Ihr Buch?«
    »Von der Beziehung des Einzelnen zu sich selbst.«
    »Ah, also vom Egoismus.«
    »Ist Selbstbeziehung Egoismus?«
    Was ist eine »Beziehung zu sich selbst«? Auf jeden Fall ein merkwürdiges Phänomen, so faszinierend wie beunruhigend: faszinierend , dass eine solche Beziehung überhaupt möglich ist; beunruhigend , dass sie den Beziehungen zu anderen vorgezogen werden kann. In der Sicht vieler Menschen gibt es Grund zur Beunruhigung über dieses Phänomen der Gegenwart: Verlust der Beziehungen zueinander, Fragmentierung, ja Auflösung von Gemeinschaft in allen Bereichen und auf allen Ebenen. Wie lässt sich angesichts dessen die Betonung der Selbstbeziehung rechtfertigen? Aber es erscheint schwierig, anders anzusetzen, wenn doch in der Epoche, die man »die Moderne« nennt, Menschen in anderem Maße als jemals auf sich selbst verwiesen sind. Sie sehen sich vor die Aufgabe gestellt, selbst nach Orientierung zu suchen und ihr Leben selbst zu führen, ohne sich dafür gerüstet zu fühlen. Verschiedene theoretische und praktische Ansätze, auch die philosophische Lebenskunst, werden daran gemessen, ob sie in der Lage sind, Antworten auf die moderne Grundsituation zu finden. Sich damit zu befassen, soll nicht heißen, die Moderne für die einzige Kultur, ihre Probleme für die einzigen auf dem Planeten zu halten. Aber überall dort, wo Modernisierung Platz greift, werden wohl ähnliche Probleme zu erwarten sein, deren Lösung nicht anderen Kulturen zuzumuten ist, sondern der Kultur der Moderne selbst, erst recht in der Zeit der »Globalisierung«, die nichts anderes ist als eine globale Modernisierung.
    Unter Lebenskunst ist hier nicht das leichte, unbekümmerte Leben zu verstehen, sondern die bewusste, überlegte Lebensführung.Sie ist, wenn sie gewählt wird, mühevoll und doch auch eine Quelle der Erfüllung ohnegleichen. Lange Zeit im Laufe der abendländischen Geschichte war sie in der Philosophie beheimatet, die diesen Begriff schon in antiker Zeit prägte: téchnē tou bíou, téchnē perì bíon im Griechischen, ars vitae , ars vivendi im Lateinischen. Erst die institutionelle Philosophie des 19. und 20. Jahrhunderts leistete Verzicht darauf, zugunsten einer Moderne, die mithilfe von Wissenschaft, Technik und freier Wirtschaft alle Lebensprobleme zu lösen versprach; auch in der Hoffnung auf »Systeme«, die eine individuelle Lebensführung überflüssig machen würden: Wozu also noch Lebenskunst! Die mit der Moderne gemachten Erfahrungen haben jedoch gezeigt, dass diese Zeit zwar einige Probleme gelöst, neue aber geschaffen hat, und dass wohl kein »System« einem Menschen Antworten auf seine Lebensfragen geben oder ihm gar die Lebensbewältigung abnehmen kann.
    Keineswegs kann die Philosophie verbindlich sagen, wie das Leben zu leben sei, und doch kann sie Hilfestellung leisten beim Bemühen um eine bewusste Lebensführung: mit der Klärung und Aufklärung einer Lebenssituation, einer Angst etwa, einer Beunruhigung oder einer Enttäuschung. Als philosophisch gilt seit jeher, in jedem Fall seit Sokrates, die »Was ist«-Frage zu stellen, griechisch ti éstin, ti pot’éstin : Was ist das, was ist das eigentlich? Was ist Leben, was ist diese Zeit, was ist Leben in dieser Zeit, was könnte es noch sein, was ist schön, was ist klug, was ist richtig, was ist wichtig, was ist Glück, was ist der Sinn des Lebens? Von der Frage nach Sinn sind alle diese Fragen durchdrungen, und es gehört zu den Aufgaben der Philosophie, diese Frage aufzunehmen und ernst zu nehmen; ein zentrales Anliegen dieses Buches. Die Frage nach Sinn ist die Frage nach Zusammenhängen: Was liegt zugrunde, was steckt dahinter, wozu dient etwas, in welchen Beziehungen ist es zu sehen, welche Bedeutung haben die Worte, die gebraucht werden, welche Gründe lassen sich für ein Tun oder Lassen finden? Entscheidend sindFragestellungen wie diese, nicht etwa definitive Antworten; schon die sokratischen Dialoge enden aus guten Gründen offen und stoßen dennoch wertvolle Klärungsprozesse an. Mit den Fragen sind Spielräume des Denkens und Lebens zu eröffnen und Möglichkeiten der Lebensgestaltung zu gewinnen, nach denen die moderne Philosophie lange, allzu lange nicht fragte, gänzlich den Bedingungen menschlichen Wissens und der normativen Begründung menschlichen Handelns zugewandt, als verstünde sich damit das gelebte Leben schon von selbst.
    Als grundlegend erscheint vor allem, dass das Leben an die
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