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Malenka

Malenka

Titel: Malenka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irina Korschunow
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für dich. Soll dein Malenka dich sehen, wenn groß.«
    Hedwig war immer hübsch gewesen, doch nie so wie jetzt, von schmaler, heller Ebenmäßigkeit, fern den Begierden und Ärgernissen, die sie im Leben bewegt hatten. Wie eine Heilige, fand Anna Jarosch zu ihrem Trost.
    Das Bild erhielt seinen Platz auf dem Vertiko, neben jenem, das die achtzehnjährige Hedwig als Braut zeigte, am Arm von Ludwig Müller, kurz bevor er bei Verdun verschwand. Ein Teil der Geschichte. »War hochmütig, dein Mutter, aber schön, und konnte sein auch freundlich. Hatte gute Herz, wäre noch geworden gute Frau, nur kein Zeit.«
    Deine Mutter. Manchmal kletterte Margot auf einen Schemel, um den Fotos nahe zu sein, die Gesichter zu sich heranzuholen aus einer fremden in ihre eigene Wirklichkeit, so, wie sie es mit den bunten Bildern in dem Buch tat, das ihre Großmutter einmal aus dem Kaufhaus Ramelow mitgebracht hatte, Märchen aus Tausendundeiner Nacht, von Zauberringen und Wunderlampen, drehe daran, und deine Wünsche werden erfüllt.
    Sonntags, wenn die Arbeit liegenblieb, weder gewurstet, eingeweckt noch ausgetragen werden mußte, las Anna Jarosch ihr daraus vor, langsam und immer wieder über komplizierte Wörter stolpernd. Sonntags gab es auch gebratenes Fleisch zum Mittagessen, nicht wie sonst Graupen, Linsen, Wruken, in der ewigen Wurstbrühe gekocht, oder kleine Stinte vom Fischmarkt, die samt Köpfen und Schwänzen in die Pfanne geworfen wurden. Gebratenes Fleisch, Vanillepudding und hinterher der Gang zum Mühlengraben im Bürgerpark, den Füllenort entlang zum Friedhof mit den schattigen Alleen.
    Bei der Heimkehr bekam jeder noch sein Stück Kuchen von Bäcker Manzig, dessen Geschäft sich dem schmalen, einstöckigen Haus gegenüber befand, in dem Anna Jarosch bei Margots Geburt schon fast zwanzig Jahre gewohnt hatte. Es lag am Ende der Kleinen Wollweberstraße und gehörte dem Kolonialwarenhändler Emil Dobbertin und seiner Frau Else, gutherzige und hilfsbereite Leute, er hager und schweigsam, sie klein, rund und voller Verständnis für alles Menschliche. Mit Anna Jarosch oben im ersten Stock waren sie längst verwachsen, kannten ihre Mühsal und duldeten auch die Wursterei, zumal sie ihren eigenen Belangen nicht in die Quere kam. Denn in dem kleinen Dobbertinschen Laden, den schon Emils Mutter gegründet hatte, gab es zwar fast alles, was ein Pyritzer benötigte, von Hoffmanns Stärke bis zu Salzheringen, das Dutzend eine Mark, nicht jedoch Wurstwaren. Die kaufte man beim Fleischer, ein Verfahren, das auch im Haus jegliches Konkurrenzdenken unterband.
    Allerdings sorgten besondere Umstände dafür, daß Anna Jaroschs wachsende Produktion niemanden belästigte: die Käsefabrikation nämlich, die Dobbertins zusätzlich betrieben, sogenannter Harzer Roller, mit oder ohne Kümmel, schmackhaft, billig und außerordentlich beliebt bis in die umliegenden Ortschaften hinein. Aus trockenem Quark hergestellt, pflegte er unten im Keller langsam der Reife entgegenzudunsten, tagaus, tagein, seit Jahren schon, der Geruch hatte sich eingenistet, er überlagerte alles, auch den Brodem aus Anna Jaroschs Küche, in der sich, inzwischen ebenfalls fast täglich, Kopffleisch, Schwarten, Speck, Leber, Schweineblut und die Gewürze aus Marie Asmussens Kochbuch miteinander verbanden.
    Margot, das Kind, pendelte von einem Geruch zum anderen, wenn sie aus dem ersten Stock hinunter in den Laden lief oder auch in den Keller, wo Emil Dobbertin seine Harzer Roller formte, zwischen zwei steinbeschwerten Brettern das Wasser aus ihnen herauspreßte, sie zum Trocknen auf die langen Tische verteilte und wachsam den Reifungsprozeß verfolgte, um schließlich, sobald der richtige Punkt erreicht war, nicht mehr hart und noch nicht weich, die Portionen mit liebevoller Genauigkeit in gelbliches Pergamentpapier zu wickeln, ein Päckchen wie das andere. Margot, wenn sie danebenstand und den Hals reckte, immer wieder begierig auf das, was sie längst kannte, fragte so oft dasselbe, warum Salz, warum Kümmel, warum ist dieser Käse fertig, warum jener nicht, bis der ohnehin maulfaule Emil Dobbertin aus der Konzentration geriet und sie in den Laden schickte, zur Freude seiner Frau, die, Mitte Vierzig und kinderlos, Margot von Anfang an innerlich adoptiert hatte.
    »Da bist du ja, Herzchen«, sagte sie zur Begrüßung, und Margot setzte sich auf ihre Fußbank vor dem Zuckersack, bekam einen Bonbon aus dem großen Glastopf, Himbeer oder Zitrone, und beobachtete

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