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Malenka

Malenka

Titel: Malenka
Autoren: Irina Korschunow
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Hochdeutsch, denn sie hoffte auf einen Jungen als künftige Stütze in dem männerlosen Haushalt, aber auch weil sie fand, daß für einen Mann, trotz Krieg und Maloche, das Leben leichter sei.
    »Mann hat Juchhe, Frau hat Ade«, lautete einer ihrer seltsamen Sprüche, woher immer sie kommen mochten, vielleicht verballhornt aus dem Polnischen.
    Sie stand am Bett und sah auf Hedwig, ihre Tochter, die das Juchhe seit neun Monaten hinter sich hatte und dem Ade, noch ahnte es niemand, entgegeneilte. Sie sah auf das Kind, wie es sich aus der Tochter herausschob, und als es sich tatsächlich als Mädchen erwies, erklärte sie: »Ist gut, Hedwig. Mädchen wird nicht Soldat, stirbt nicht mit Kugel in Kopf.«
    Während die Hebamme sich um die Wöchnerin kümmerte, die heftiger blutete, als gut war, wusch und wickelte Anna Jarosch das Kind. »Malenki grzmocik«, murmelte sie dabei, Donner-chen, kleines Donnerchen, und als sie das Bündel ihrer Tochter brachte, war schon Malenka daraus geworden, hier hast du dein Malenka. Ein Kosewort. Hedwig jedoch, die nicht polnisch verstand, auch nichts mit Polen und allem Polackischen zu tun haben wollte, rief: »Sie soll Margot heißen« und brach in Tränen aus.
    »Jesusmaria, ja, wird Malenka heißen Margot«, sagte ihre Mutter erschrocken, war aber schon nicht mehr von Malenka abzubringen, diesem Singsang, der soviel glatter über ihre Lippen ging als das störrische Margot, obwohl es sie erleichterte, daß das Kind nun doch einen halbwegs vernünftigen Taufnamen bekommen sollte, keinen so großspurigen wie Brunhilde oder Sieglinde, zu denen Hedwig sich anfangs verstiegen hatte in ihrem Hochmut, ein Wort, das immer wieder zur Sprache kam, wenn Anna Jarosch versuchte, der heranwachsenden Enkelin die Umstände ihrer Geburt nahezubringen. »War hochmütig, dein Mutter, hätte können kriegen gute Mann, aber wollte sie haben besseren Herrn. Erst Hochmut, dann Unglück«, in dieser Art etwa, und für die Margot der frühen Jahre eine Geschichte wie die anderen, die ihre Großmutter erzählte, abends zur Dämmerstunde, wenn sie auf dem Sofa saßen, dicht nebeneinander, bis es dunkel genug wurde für den Luxus des elektrischen Lichts. Das Märchen vom Hochmut und vom Unglück. Sie sog es ein mit den Schauern, die Märchen ihr schenkten, und wußte nicht, daß auch sie zu denen gehörte, die das Bessere haben wollten.
    Am Morgen nach der Geburt zog Anna Jarosch sich ordentlich an, das gute schwarze Kleid, dazu die Schürze aus Satin, füllte ihren Korb und erledigte, obwohl wichtige Dinge anstanden, erst das Geschäftliche. Sie betrieb seit langem einen kleinen Handel von Haus zu Haus, Leber- und Blutwurst, eigenhändig zubereitet auf dem eisernen Küchenherd und abgeschmeckt mit Majoran, Thymian sowie diversen Gewürzen, die ein Geheimnis blieben. Ihre Kundschaft wohnte über die Stadt verstreut, es bestanden Lieferabsprachen, und was immer geschah, das Geschäft hatte Vorrang. Erst als der Korb leer war, ging sie ins Rathaus am Markt, um die Ankunft der Enkelin zu melden.
    »Name des Vaters?« fragte der Standesbeamte, ein älterer Mensch, trotz Republik noch mit gezwirbeltem Kaiser-Wilhelm-Schnurrbart, und das Dienstgesicht so ausdruckslos wie das Mobiliar, zwischen dem er saß.
    Anna Jarosch hatte mit dieser Frage gerechnet, auch mit den sich daraus ergebenden Schwierigkeiten.
    »Ludwig Müller«, erklärte sie. »Name Ludwig Müller. Mutter Hedwig Müller, ist geborene Jarosch. Hier Heiratsurkunde.«
    »Beruf des Vaters?«
    »War er Kellner«, sagte Anna Jarosch. »Aber jetzt tot. Hier Urkunde.«
    Der Beamte blickte auf die Papiere, dann auf die Frau und meinte, es müsse sich wohl um einen Irrtum handeln. Aus der Sterbeurkunde gehe hervor, daß Ludwig Müller im August 1917 bei Verdun gefallen sei, da könne man ihm wohl jetzt, 1926, keine Vaterschaft mehr unterjubeln.
    Unterjubeln, das erboste Anna Jarosch. Sie war bereit, den ersten Kampf für ihre Enkelin aufzunehmen.
    »Egal«, sagte sie. »Tochter verheiratete Frau, nicht ledig, und Kind von verheiratete Frau muß sein ehelich.«
    »Bei euch in der Polackei vielleicht«, sagte der Beamte, der schon unter dem Kaiser in dieser Magistratsstube seinen Dienst verrichtet hatte, immer am selben schäbigen Schreibtisch, auch das Tintenfaß war von damals, die Regale mit den Aktenordnern, das braune, rissige Linoleum, und Worte wie Polackei gingen hierzulande seit eh und je leicht über die Lippen.
    Anna Jarosch richtete sich auf. Sie hatte
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