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Malenka

Malenka

Titel: Malenka
Autoren: Irina Korschunow
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Betrauern Sie Lotte Lerche, und werden Sie wieder Margot Jarosch, damit ich schreiben kann.«
    Wie selbstverständlich das klang. Zieh dich um, nicht dieses Kleid, lieber das vom vorigen Jahr.
    »Als ob das so einfach wäre«, sagte sie.
    »Ihnen passiert überhaupt nichts«, sagte Wiethe. »Was meinen Sie, wie viele sich damals einen neuen Namen zugelegt haben, Kavaliersdelikt, es gibt sogar eine Amnestie dafür. Und wie ich Ihren Herrn Hellkamp einschätze, der wird Sie dann wohl auch nicht länger behalten wollen.«
    Es machte sie wütend, wie leichtfertig er mit ihrem Leben jonglierte. Was mit dem Abitur werden solle, fragte sie, dem Studium, und er sagte, Sonderrabatt gäbe es vermutlich nicht, aber andere hätten das Abitur schließlich auch nachgeholt, vielleicht müsse sie von vorn anfangen, mit fünfundzwanzig könne man das, er sei erst mit achtundzwanzig aus dem Krieg gekommen.
    »Ich habe keinen Vater, der das alles bezahlt«, sagte sie.
    »Dann verdienen Sie sich was. Oder lassen es bleiben. Aber verschonen Sie mich mit weiteren Tragödien, Fräulein Jarosch oder Möller oder Hellkamp oder wie Sie heißen.«
    Sie wollte endgültig gehen, doch er hielt sie fest und sagte, daß sie nicht beleidigt sein, sondern lieber mit ihm zu Abend essen solle. »Zwei so unrespektable Leute wie wir, die passen gut an einen Tisch.«
    Er ging in die Küche. Margot blieb an der Tür stehen und sah zu, wie er Brot schnitt, schnell und unbekümmert.
    »Für Sie ist alles nur ein Witz«, sagte sie.
    Wiethe legte das Messer hin. »Da irren Sie sich aber gewaltig. Sie waren noch nie ein Witz für mich. Schade, daß Sie so etwas nicht merken.«
    Sie setzten sich an den Tisch und aßen. Draußen im Flur schlugen ein paar Türen, dann wurde es still, nur das Parkett krachte hin und wieder.
    »Altes Holz«, sagte Wiethe. »Viel gibt es nicht mehr davon in Hamburg.«
    Er holte eine Flasche Rotwein und füllte die Gläser.
    »Ich werde es tun, das mit dem Namen«, sagte Margot.
    »Natürlich tust du es«, sagte er. »Und du schaffst es, du bist stark.«
    »Aber nur bei Tag«, sagte sie.
    »So?« Er hob sein Glas. »Was für helle Augen du hast.«
    »Das hat bis jetzt noch jeder gesagt.«
    »Und was soll ich sagen?« fragte er, und sie war wieder im Munitionsbüro von Mellenthin, Oberleutnant Wiethe geht an ihr vorbei, und sie wünscht sich, daß er stehenbleibt, aber er fahrt nach Swinemünde.
    Wiethe trat hinter ihren Stuhl.
    »Wollen Sie nicht lieber nach Swinemünde fahren?« fragte sie und spürte seine Hand auf ihrer Schulter. »Ach, Malenka, denk an deine weiße Bluse.«
    Malenka. Ich bin Malenka. Sie schloß die Augen und legte den Kopf zurück. »Ich möchte mit dir schlafen, Wiethe«, sagte sie, und das war das Ende von Bielefeld.
    In der Nacht neben Wiethe, rundherum die Wohnung mit den vielen Namensschildern und draußen die neue Stadt, dachte Margot, daß alle ihre Schritte, seitdem sie von Pyritz aufgebrochen war, hierher geführt hatten, zu dieser Station, und daß sie erst jetzt anfangen konnte, den richtigen Weg zu suchen. Auch ein Traum? »Mensch in Traum läuft an Baum«, hatte ihre Großmutter gesagt, deren Bild sie wieder am Hals tragen wollte, im Medaillon der Marie Asmussen. Anna Jarosch, die polnische Wurstfrau aus der Kleinen Wollweberstraße.
    »Ich will mich erinnern, Wiethe«, sagte Margot, aber er schlief schon, sein Atem an ihrer Schulter, und nichts daran wunderte sie. Ich bin Malenka, Harald, und es tut mir leid um uns.
    »Bleibst du bei mir?« wird Wiethe am nächsten Morgen fragen. Was soll sie antworten? Vielleicht dies: Erst muß ich bei mir selber bleiben.
    Margots Geschichte geht weiter.
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