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Malenka

Malenka

Titel: Malenka
Autoren: Irina Korschunow
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ratternden Geräuschen von Pferdewagen begonnen hatte und als dessen letzte Wahrnehmung ein Atomblitz ihr nicht ausgeschlossen schien, meinte sie, daß man eigentlich jeden Tag nach dem Krieg hätte festhalten müssen, um den Schneckenschritt des Wandels von Friedenssehnsucht und Lebensliebe mitten hinein in die Vorbereitungen neuer Katastrophen zu verstehen. Dieser allmähliche Vollzug. Statt sich zu wehren, sei man in den Tagen herumgeschwommen wie in warmem Wasser, endlich warm nach der langen Kälte, und habe sich gleich wieder überrumpeln lassen. Obwohl sie selbst, einmal zumindest, versucht hatte, sich den Anfängen entgegenzustellen, in jenem Teil ihrer Biographie, von dem nun die Rede sein soll. »Mein Ausstieg«, nannte sie es spöttisch im Hinblick auf die Nutzlosigkeit, gemessen am weiteren Lauf der Dinge. Nutzlos? Was kann man anderes tun, als sich zu entscheiden, wer man sein und mit welcher Stimme man sprechen will. »Deine Rede sei ja ja, nein nein«, pflegte Pastor Schaper die Bibel zu zitieren, und auch Anna Jarosch hatte das Ihre gesagt: »Sollst du in dein Leben singen gute Lied, Malenka, anständige Lied, und nicht rot werden in Gesicht mit Scham.«
    Fraglich indessen, ob Margot zu der eigenen Stimme gefunden hätte ohne Wiethe, der im übrigen nicht auf sie zukam, nicht so wie damals zwischen Stettin und Ducherow, als sie ihm ihre Geschichte erzählte und er ihr den Mut gab, der Zink zu widersprechen. Wiethe, der Filou, vor dem sie sich nicht schämte und mit dem noch eine Rechnung zu begleichen war. Diesmal war sie es, die zu ihm ging, unvorhergesehen allerdings, einer von diesen Zufällen, oder Einfallen eher. Frühmorgens im Zug jedenfalls, auf dem Weg nach Hamburg, ahnte sie noch nichts von der Begegnung am Nachmittag, genausowenig, wie sie am Abend zuvor etwas von der Reise nach Hamburg gewußt hatte. Margots schnelle Entschlüsse, Sprünge über die Mauer.
    Daß sie wieder einmal springen mußte, war ihr im April klargeworden, ein Vierteljahr nach der Fehlgeburt, als Harald sich zu Verhandlungen in Amsterdam befand. Die Holländer, mit amerikanischen Rüstungsaufträgen eingedeckt, benötigten deutsche Importe, ein großer Auftrag stand ins Haus, gute Geschäfte für die Firma Hellkamp im Sog des Koreakonflikts. Der Krieg als Vater aller Dinge, schon Studienrat Harm hatte es bei seinen Morgenfeiern den Pyritzer Schülerinnen gepredigt, und auch Harald glaubte daran. »Krieg, ein uralter Instinkt, ohne Krieg kein Leben, du mußt vom Privaten abstrahieren und die Dinge allgemeiner sehen, so wie sie sind, nicht wie du sie haben möchtest.«
    Margot reagierte nicht mehr darauf, es war alles gesagt. Er schob ihr Schweigen seinen Vorwürfen im Krankenhaus zu und versuchte es wieder gutzumachen durch Geschenke, die sie nicht haben wollte, und Zärtlichkeiten, vor denen sie zurückwich, bisweilen aber auch kapitulierte unter Auflehnung und Widerwillen. Doch als sie, zögernd noch, ohne selbst wirklich daran zu glauben, von Trennung sprach, verstand er sie nicht. Sie hätten doch ausgezeichnet zusammengepaßt und wären glücklich gewesen und würden es wieder sein, sie müsse nur vernünftig werden, eine vernünftige Frau, mit der man leben könne. Und ein für allemal, bei den Hellkamps gebe es keine Scheidungen.
    Es war der Moment, in dem Margot begriff daß nichts wieder gut werden konnte. Sie begriffes und bedachte es, bedachte die Kompromisse ihrer Schwiegermutter, das Haus, die Stellung in der Stadt und was es bedeutete, dies alles hinter sich zu lassen. »Mußt du suchen gute Brot und gute Bett, Malenka«, hatte Anna Jarosch gesagt, doch auch hinzugefügt, »und weglaufen von Knüppel.« Ein Satz, den Margot, in richtigem Deutsch allerdings und ohne die Quelle zu nennen, Harald vor seiner Abreise nach Amsterdam an den Kopf geworfen hatte.
    Und nun, allein im Haus, das Zögern und Abwägen weggeschwemmt von dem Gedanken an seine Rückkehr, an die Tage und die Nächte mit ihm, an ein Kind womöglich, nach seinen Vorstellungen erzogen, beschloß Margot zu gehen.
    Sie öffnete ihre Kommode, in der wohlversteckt auch die Jarosch- und Möllerumschläge lagen, und holte das Sparbuch heraus. Immer das gleiche vor den Aufbrüchen: Geld zählen, kalkulieren. Sie besaß rund zweitausendfünfhundert Mark, genug in etwa, um vier Semester durchzustehen, und kein Davonschleichen diesmal bei Nacht und Nebel, nur die Dinge regeln in Göttingen, dann zurückkommen und auf Harald warten: Ich gehe. Und wenn
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