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Der Sturm

Der Sturm

Titel: Der Sturm
Autoren: Per Johansson
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Eins
    Bertil Cederblad hatte die Getreide- und Rübenfelder Südschonens hinter sich gelassen. Die Reichsstraße  23 hinter dem ehemaligen Nonnenkloster von Bosjö war in den Wald eingetaucht, die Straße lag trocken vor ihm, und er dachte an die Anemonen. Wenn der ganze Boden unter den Bäumen von einem Teppich aus kleinen weißen Blüten bedeckt wird, ist das eigentlich der schönste Augenblick des Jahres. Unter diesem hohen, klaren, blauen Himmel ist die Luft dann ganz durchsichtig. Ein Versprechen, dachte er, so groß und schön, dass es niemals erfüllt werden könne, eine Welt aus Blumen und Blau, und noch tragen die Birken nur kleine grüne Spitzen, und die Buchen sind kahl, so wie die Eichen auch. Fast ist es noch Winter, und dann kommt dieser überwältigende Reichtum und ist plötzlich verschwunden, wenn der Frühling wirklich einzieht. Und so schön er auch sein wird, so schön wie das plötzliche Aufgehen dieser unendlich vielen kleinen Blumen auf einem noch ganz braunen Boden kann er gar nicht mehr werden. So dachte Bertil Cederblad, als er, ein Mann von sechzig Jahren, an einem Samstag Ende April in seinem dunkelrot glänzenden Volkswagen Golf zum Hof seiner Großeltern fuhr. Das alte Bauernhaus stand seit dreißig Jahren meistens leer. Es hatte sich, wie so viele dieser Höfe in der schwedischen Provinz, in ein eher schlichtes Ferienhaus verwandelt.
    Der Wald wurde dichter, und es waren jetzt nicht mehr Eichen und Buchen, von denen die Straße gesäumt wurde, sondern Fichten. Die Anemonen blieben, spärlicher zwar, aber immer noch allgegenwärtig, spiegelten sich in Tausenden und Abertausenden von Wasserlachen, die der Schnee zurückgelassen hatte, und leuchteten, so als sollte nun ein Sommer kommen, schöner, als je ein Sommer gewesen war. Kurz vor Hässleholm verließ Bertil Cederblad die große Straße und bog nach Norden ab, um dann, hinter Vittsjö, auf kleinen, gewundenen, aber immerhin noch asphaltierten Wegen immer tiefer in einen Wald einzudringen, der nur noch gelegentlich von einer Rodung unterbrochen wurde, von einer freien Fläche mit ein paar Feldern und Wiesen, die von roh gefügten Steinmauern eingefasst waren, mit einem Holzhaus, das rot und mit weißen Eckpfosten unter hohen Bäumen stand. Wie viele von diesen Höfen nicht mehr bewohnt waren! Dann wieder Wald, Bäche, Entwässerungsgräben, kleine Flüsse, die hoch angeschwollen waren nach einem langen Winter und die umliegenden Böden nun in Sümpfe verwandelten.
    Ein paar Kilometer vor Visseltofta weitete sich die Landschaft. Der Helgeå schlängelte sich hier durch feuchte Wiesen, ein kleiner Fluss, der irgendwo in der Mitte Smålands entspringt, um durch Dutzende von Seen und weite Mäander zu fließen und endlich bei Kristianstad in der Ostsee zu münden. Oft säumt Schilf seinen Weg, im Sommer stehen die Kühe im Ufermatsch, und die Blinker der Angeln bleiben an den langen Stielen der Seerosen hängen. Bertil Cederblad ließ auch den kleinen Ort mit seiner weißen Kirche hinter sich, bog in eine Schotterstraße ein und fuhr ein, zwei Kilometer parallel zum Fluss. Dann ging es eine kleine Anhöhe hinauf, und dort, unter ein paar großen Eichen und von weithin sichtbar, stand der Hof. Bertil Cederblad setzte den Golf mit Schwung in das alte Unkraut unter der Linde vor dem Wohnhaus. Er hätte »mein Hof« sagen können, denn er gehörte ihm. Aber er tat es nie. Es war immer nur von »gården« die Rede, von »dem Hof«, und das lag an seinen Großeltern, heute arm wirkenden Leuten, die Haus, Land und Wald bis in die siebziger Jahre bewirtschaftet hatten. Das lag an der ganzen Geschichte der Familie, die sich im achtzehnten Jahrhundert hier niedergelassen hatte, um dieses Land zu bewirtschaften und dieses Haus zu bauen, und die jetzt ihrem Ende entgegenging.
    Äcker und Wiesen waren verpachtet, an einen Bauern aus der Nachbarschaft, der sich selbst als einen Verwandten wahrnahm. Aber ist ein Großcousin überhaupt noch ein Verwandter? Den Wald betreute eine große Firma, die für diese Arbeit mehr Geld nahm, als die Forstwirtschaft je abwerfen konnte. Bertil Cederblad hatte keine Kinder, seine Frau hatte sich von ihm getrennt, schon vor Jahren, weil sie, wie sie behauptete, noch so viel erleben wollte, und er wollte das nicht. Dieser alte Hof war sein Zuhause, auch wenn er den größten Teil des Jahres dort nicht wohnte, und nie hätte er daran gedacht, ihn zu verkaufen. Der Nachbar, der Großcousin, war allerdings ein
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