Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Malenka

Malenka

Titel: Malenka
Autoren: Irina Korschunow
Vom Netzwerk:
kein Geld dagewesen wäre? »Ich hätte irgend etwas mitgenommen«, sagte sie. »Das Silber. Oder ein Bild. Aber gegangen wäre ich.«
    Gut, daß sich solche Übergriffe erübrigten und Margot dem Haus Hellkamp, wo man sie so freundlich empfangen hatte, nicht noch mehr nahm, als es ohnehin der Fall war. Ein Verlust indessen, der seinen Stachel wieder verlor durch den Einzug einer zweiten jungen Frau Hellkamp, nicht ganz so reizend wie die erste nach allseitiger, vielleicht sogar Haralds Meinung, jedoch normal und vernünftig, ohne Hysterien, und die Geburten problemlos. Kein Grund folglich für Melancholie, außer der, die Trennungen nun einmal innewohnt. Auch Margot wird traurig sein, wenn sie endgültig geht.
    Am nächsten Morgen stieg sie schon früh in den Zug, nur ihre Aktentasche als Gepäck und unter dem Mantel einen karierten Faltenrock mit Bluse und Strickjacke. Kein Hut. Schluß mit den Hüten. Im übrigen fuhr sie nicht nach Göttingen, ebenfalls eine schnelle Entscheidung, sie wollte nicht zurück. Köln stand zur Debatte oder Hamburg, sie entschied sich für Hamburg. Warum? Es ließ sich nicht begründen. Der Name klang ihr angenehm im Ohr, vielleicht weil er sich mit der Vorstellung von Schiffen und Meer verband. Möglich aber auch, daß sich eine Stimme meldete aus der Vergangenheit, Hamburg, ich bin aus Hamburg.
    Wiethe allerdings fiel ihr erst später ein, nachdem sie alle Vorhaben erledigt hatte, sogar schon immatrikuliert war, eine Überrumpelung beinahe. Sie lief durch die Straßen, ziellos an alten und neuen Häusern vorbei, an Baustellen, Ruinen, leergeräumte Grundstücke dazwischen, auf denen die Wildnis zu wuchern begann. Hamburg, wenige Wochen noch, dann wohne ich in Hamburg, aber was wird Harald sagen, was tue ich, was habe ich getan, und so fiel ihr Wiethe ein, Wiethe neben ihr im D-Zuggang, mein Sohn soll in Hamburg wohnen, sagte er.
    Im Telefonbuch gab es fünf Wiethes, einer davon Berthold, Journalist, Sierichstraße. Sie wählte die ersten Ziffern und legte den Hörer wieder auf. Sie wollte sein Gesicht sehen.
    Sierichstraße, Hamburg-Winterhude, ein Bürgerhaus ähnlichen Zuschnitts wie das Hannoversche Domizil des Ingenieurs Kremer, nur pompöser, aber die Marmorplatten im Flur zersplittert, die Treppen abgetreten, Brandflecken am Geländei. An der Wohnungstür im ersten Stock hingen neun Namensschilder und Visitenkarten. Wiethe, fünfmal klingeln.
    Eine ältere Frau öffnete. »Bringen Sie die Abzüge?«
    »Wieso?«
    »Herr Wiethe hat gesagt, ich soll die Abzüge annehmen.«
    »Ich habe keine Abzüge«, sagte Margot. »Wann kommt er denn wieder?«
    »So gegen fünf. Kriegt er die Abzüge noch?«
    »Vielleicht«, sagte Margot und fing an zu lachen. Der Dialog paßte zu Wiethe und dem Panzerschrank.
    Am Nachmittag stand er dann vor ihr, nicht mehr der Oberleutnant mit goldenen Armeistreifen und Orden, eine graue Hose statt der Uniform, ein helles Hemd, die Ärmel hochgekrempelt, doch das Gesicht noch das gleiche, die Wachheit darin, auf dem Sprung sozusagen, nur nichts verpassen.
    »Sie, young Lady?«
    Die Stunde der Abrechnung, Wiethe, der sie verraten hatte.
    »Verraten?« Er wohnte am Ende des langen Flurs, ein Eckzimmer mit drei Fenstern, das Bett, die Stühle, der Boden bedeckt mit Büchern und Zeitungen, eine Schreibmaschine auf dem Tisch und etwas wie eine Küche nebenan, in der er Kaffee durch den Filter laufen ließ. »Bißchen groß, so ein Wort, wie? Verraten! Ich habe meine Haut gerettet.« Er trug das Tablett ins Zimmer.
    »Das Mädchen ist clever, habe ich gedacht, steckt den Schlüssel weg und weiß von nichts. Warum haben Sie das nicht getan?«
    »Man hat mich verhört«, sagte Margot. »Und Lore ist tot.«
    »Und ich bin schuld?« Er stellte die Tassen auf den Tisch, goß Kaffee ein und nahm die Zeitungen von den Stühlen. »Wollen Sie mir wirklich die ganze Chose aufladen, das und jeden Schritt hinterher? Wiethe als Schicksal? Und wenn Sie eine Stunde später losgegangen wären oder einen anderen Weg genommen hätten?«
    »Hören Sie doch auf«, sagte Margot. »Sie reden mal wieder alles krumm und schief.«
    »Und falls Sie in Mellenthin geblieben wären, säßen Sie jetzt vielleicht in Sibirien.«
    »Natürlich«, sagte Margot. »Sie haben mich vor Sibirien bewahrt.«
    Er saß ihr jetzt gegenüber, und sie bemerkte graue Strähnen in seinem krausen, borstigen Haar. »Also gut«, sagte er, »ich habe Sie im Stich gelassen, und es tut mir leid, und wahrhaftig, wenn
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher