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Clementine schreibt einen Brief

Clementine schreibt einen Brief

Titel: Clementine schreibt einen Brief
Autoren: Sara Pennypacker
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1. KAPITEL
    »Guten Morgen, Herr … aua!«
    In der dritten Klasse wird reichlich mit Fingern in der Gegend herumgebohrt. Diesmal war es Norris-Borris-Morris. »Horace«, flüsterte er.
    »Ich werd’s mir überlegen«, flüsterte ich zurück.
    Norris-Boris-Morris heißt in Wirklichkeit Norris. Das weiß ich jetzt. Aber zu Anfang des Jahres habe ich ihm alle drei »Orris«-Namen gegeben, weil ich mir nie merken konnte, welcher der richtige war. Und jetzt will er mich dazu bringen, noch einen Namen dazuzunehmen. Vorige Woche hat er es mit Glorris versucht, aber da habe ich nein gesagt. Es muss schon ein echter Name sein.
    »Na gut«, sagte ich. »Norris-Boris-Morris-Horace.«
    Mein Lehrer fing meinen Blick auf und zupfte sich am Ohr. Das ist unser Geheimcode für Zeit-zum-Zuhören. Also setzte ich mich gerade hin und hörte ihm zu, obwohl es nur »Bitte melden, wer nicht da ist« – und »Wer hat Milchgeld«-Kram war.
    Aber danach wurde die Sache interessant.
    »Clementine, würdest du bitte Rektorin Rice aus ihrem Büro holen?«
    Wann immer mein Lehrer jemanden braucht, um etwas im Büro der Rektorin zu erledigen, dann schickt er mich. Und zwar deshalb, weil ich so verantwortungsbewusst bin. Na gut, meinetwegen, es liegt auch daran, dass ich so oft zu ihr geschickt werde, dass ich den Weg mit geschlossenen Augen finden würde.
    Was ich auch mal probiert habe. Ihr würdet staunen, wie viele blaue Flecken ihr euch an einem einzigen Wasserspender holen könnt.
    Als ich im Büro von Rektorin Rice ankam, streckte sie ihre Hand nach dem Zettel meines Lehrers aus, auf dem immer stand, was ich diesmal wieder angestellt hatte.
    »Nix da, heut gibt’s keinen netten Plausch«, sagte ich zu ihr. »Heute soll ich Sie einfach nur in die Klasse holen.«
    »Ach so«, sagte sie. »Es ist schon so weit.«
    Als wir über den Flur gingen, erinnerte ich sie daran, dass ich auch am Freitag nicht zu einem Plausch in ihr Büro geschickt worden war. »Habe ich Ihnen nicht gefehlt? Mein Lehrer hat gesagt, ich könnte mir den Tag rot im Kalender anstreichen. Er hat gesagt, ich hätte mich in der dritten Klasse jetzt wohl so langsam eingewöhnt.«
    »Mir ist durchaus aufgefallen, dass du nicht bei mir warst, Clementine«, sagte Frau Rice. »Ich habe sogar gehört, dass du eine sehr erfolgreiche Woche hattest. Meinen Glückwunsch. Dein Lehrer sagt, dass ihr euch im Moment wirklich gewogen seid.«
    »Gewogen?«
    »Gewogen. Das bedeutet, dass ihr euch gut vertragt. Ihr versteht einander.«
     

     
    Als wir in die Klasse zurückkamen, setzte unser Lehrer sich an sein Pult und ließ Frau Rice reden, weil sie seine Chefin ist. Aber er lächelte. Frau Rice lächelte ebenfalls und sagte: »Leute, wir haben Neuigkeiten für euch.«
    Und deshalb dachte ich irrtümlicherweise, es müssten gute Neuigkeiten sein.
    »Wie ihr sicher alle wisst«, sagte Rektorin Rice jetzt, »interessiert euer Lehrer sich ganz besonders für das alte Ägypten.«
    Das wussten wir durchaus. Überall im Klassenzimmer waren Mumien und Sphinxe und Pyramiden verteilt und seit einem Monat ging es immer nur um Ägypten hier und Ägypten da.
    Was ich toll fand. Unsere Lehrerin im letzten Jahr war verrückt gewesen nach den alten Zeiten in der Prärie . Das wäre ja auch in Ordnung, aber sie mochte nur Kram, der im Haus stattfindet, wie Hauben nähen und Maisbrote backen. Ich hätte gern ein bisschen alte Zeiten in der Prärie draußen kennengelernt, wie zum Beispiel Büffel mit dem Lasso einfangen und nach Gold graben und Verbrecher festnehmen, wenn sie im Saloon ein Bier trinken. Aber unsere Lehrerin sagte, nix da, und es gab nur Hauben und Maisbrote und den ganzen Tag Stillsitzen. Außerdem sagte sie, der ganze andere Kram gehöre in die alten Zeiten im Wilden Westen . Schon bei der bloßen Erinnerung daran, wie langweilig das vergangene Jahr gewesen war, wäre ich fast eingeschlafen.
    Aber das tat ich dann doch nicht, ich wollte schließlich die gute Neuigkeit hören.
    »Als ich erfahren habe, dass es beim diesjährigen Abenteuer für Lehrer -Programm um eine Ausgrabung in Ägypten geht«, sagte die Rektorin jetzt, »habe ich euren Lehrer vorgeschlagen.« Frau Rice schien sehr stolz auf sich zu sein, aber ich begriff nicht, was daran so toll sein sollte. »Und es freut mich sehr, euch sagen zu können, dass wir gleich zu Anfang der Woche erfahren haben, dass Herr D’Matz in die Endausscheidung gekommen ist.«
    Als Rektorin Rice den Namen unseres Lehrers sagte, schnappten alle
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