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Clementine schreibt einen Brief

Clementine schreibt einen Brief

Titel: Clementine schreibt einen Brief
Autoren: Sara Pennypacker
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Sie waren fast tot, weil wir sie heute noch nicht gefüttert hatten.«
    Frau Nagel ärgerte sich wahrscheinlich schrecklich, weil ich so einen guten Grund hatte, denn sie sagte: »Tut mir leid. Weitere Äpfel haben wir nicht. Du musst also bei jemandem zusehen, wenn wir das Experiment machen.«
    »Sie kann meine haben«, sagte Lilly.
    »Sie kann meine haben«, sagte Willy fast gleichzeitig.
    »Sie kann meine haben«, sagte Norris-Boris-Morris-Horace-Brontosaurus.
    Ich nehme an, die Klasse hatte es satt, dass Frau Nagel so gemein zu mir war, denn alle boten mir ihre Apfelscheiben an.
    Aber Frau Nagel sagte nein. »Schon gut. Clementine kann uns anderen zusehen.«
    Das tat ich auch. Und ich kann euch sagen, ich habe wirklich nichts verpasst.
    Legt ein Stück Apfel an die frische Luft. Der Apfel wird braun, weil er oxidiert. Total spannend.
    Unmittelbar vor Schulschluss kam Rektorin Rice noch einmal vorbei. Sie ging zum Pult und flüsterte eine Minute lang mit der Vertretungslehrerin. Dann sah ich, wie sie nach dem gerahmten Bild griff. Ich wartete darauf, dass die Lehrerin Frau Rice auf ihren Platz schicken würde.
    Aber nix da! Sie lächelte einfach nur. »Mein neuer Neffe.« Ich hörte sie seufzen. »Ist der nicht niedlich?«
    Ich griff nach einem Filzstift. FÜR MICH KEINE BABYS, schrieb ich mir auf den Arm.
    Ich schreibe mir gern wichtige Dinge, die ich nicht vergessen darf, auf den Arm. Auf diese Weise verliere ich sie nicht – ich weiß immer, wo mein Arm ist, was man von Zetteln nicht sagen kann. Und die Merksätze sehen fast aus wie Tattoos. Sonntagabends schrubbt meine Mutter alle Notizen der Woche ab und ich fange von vorn an. Das hier war ein guter Anfang.
    Frau Rice nahm einen Stapel Zettel und trat vor die Klasse. Sie brauchte kein Jetzt-aufgepasst-Händeklatschen, denn alle Augen wurden magnetisch von ihr angezogen. Ich würde gern auf eine Rektorinnenschule gehen, wenn ich groß bin, um diesen Trick zu lernen.
    Frau Rice verteilte die Zettel. Meine Hand wollte auf meinen sofort etwas draufmalen, aber ich sagte ihr, sie sollte warten.
    »Ihr werdet zu morgen einen Brief an die Jury von Abenteuer für Lehrer schreiben«, sagte sie. »Sagt ihnen, warum euer Lehrer die Reise gewinnen sollte. Macht das bitte nachher zu Hause. Morgen hole ich eure Briefe hier ab und reiche sie weiter. Na, klingt das nicht nach einer tollen Idee?«
    Alle taten so, als ob sie das für eine tolle Idee hielten. Nur ich nicht, es war schließlich keine. Eine tolle Idee ist so etwas, wie Verbrecher zu fangen, wenn sie gerade im Saloon Bier trinken. Oder ein Lehrer, der dein Lehrer bleibt, wenn er das versprochen hat.
     
    Auf dem Heimweg saß Margret neben mir, wie meistens. Ich schaute die ganze Zeit aus dem Fenster, aber Margret mag es nicht, wenn ich sie nicht ansehe. Sie kniff mich, bis ich mich umdrehte.
    »Was ist los mit deinen Augen?«, fragte sie. »Hast du geweint?«
    »Nein«, sagte ich. Dann drehte ich mich wieder zum Fenster.
    Margret kniff mich wieder.
    »Na gut, meinetwegen«, sagte ich. »Vielleicht doch. Ein bisschen. Auf der Toilette.«
    »Wieso denn?«, fragte sie.
    Also erzählte ich ihr alles, was passiert war. »Er hat versprochen, unser Lehrer zu sein, aber jetzt ist ihm das plötzlich egal. Wenn er gewinnt, ist er für den Rest des Jahres weg. Ich hatte mich gerade in der dritten Klasse eingewöhnt, und jetzt muss ich wieder von vorn anfangen. Und Frau Nagel ist gemein.«
    Jemand bohrte mir den Finger in den Nacken und ich fuhr herum. »Frau Nagel ist nicht gemein«, sagte Lilly. »Sie ist nett.« Dann bohrte sie ihrem Bruder den Finger in die Seite und sagte: »Willy. Sag Clementine, dass Frau Nagel nicht gemein ist.«
    Willy zuckte mit den Schultern. »Sie ist nicht gemein«, sagte er.
     

     
    Was nicht zählte. Willy tut alles, was Lilly ihm sagt.
    Manchmal wünschte ich, ich hätte auch einen Zwillingsbruder, dessen Name sich auf meinen reimt und der alles tut, was ich ihm sage. Stattdessen habe ich einen Bruder, der erst drei Jahre alt ist und der alles nicht tut, was ich ihm sage.
    Außerdem reimt sich sein Name nicht auf meinen und ist nicht mal ein Obstname wie meiner. Was mich an etwas erinnerte.
    Ich zog einen Filzstift hervor und schrieb MEHR GEMÜSENAMEN FÜR RÜBE SUCHEN auf meinen Arm. Dann drehte ich mich wieder zu Lilly und Willy um. »Zu mir ist sie gemein. Ich hab den ganzen Tag nur Ärger gehabt.«
    »Weil du alles Mögliche gemacht hast«, sagte Lilly. »Ich hatte heute keinen Ärger.
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