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Willkommen auf Skios: Roman (German Edition)

Willkommen auf Skios: Roman (German Edition)

Titel: Willkommen auf Skios: Roman (German Edition)
Autoren: Michael Frayn
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    »Ich möchte mich bei unserem hochverehrten Gast ganz herzlich dafür bedanken«, sagte Nikki Hook, »dass er diesen Abend zu einem so faszinierenden und wunderbaren Erlebnis gemacht hat, das wir alle nie vergessen werden …«
    Sie hielt inne und las sich den Satz noch einmal laut vor, löschte »faszinierenden und wunderbaren« und fügte statt dessen »einzigartigen und besonderen« ein, was ein wenig, nun ja, »einzigartig und besonders« klang. Ein wenig mehr nach Mrs. Fred Toppler, und darauf kam es an, schließlich war es Mrs. Fred Toppler und nicht Nikki, die sich ganz herzlich bedanken und alles so großartig finden würde. Nikki war nur Mrs. Fred Topplers persönliche Assistentin. Sie sorgte für die Gedanken, die Mrs. Toppler denken würde, aber letztlich war es Mrs. Toppler, die sie denken musste.
    Vor den Fenstern von Nikkis Büro leuchteten die zum Meer abfallenden Gärten und Hänge der Fred-Toppler-Stiftung lebhaft im gleißenden Licht des mediterranen Nachmittags. Kaskaden gutgewässerter Bougainvilleen und Plumbagos nahmen es mit dem satten Blau des Himmels auf. Die Fischerhütten am Strand und die Fischerboote, die im blendenden Meer ankerten und auf den Wellen schaukelten, waren so strahlend weiß und himmelblau wie die griechische Flagge, die lethargisch am Fahnenmast hing.
    Nikki jedoch, die hinausschaute, während sie Mrs. Topplers Gedanken verfasste, war so dezent kühl wie die klimatisierte Luft. Ihr dezent blondiertes Haar lag akkurat an, ihre weiße Bluse und der blaue Rock waren ein dezentes Echo der griechischen Weiß- und Blautöne draußen, ihre Miene war auf freundliche, doch dezente Weise aufgeschlossen für die Welt. Sie war dezent britisch, weil Mrs. Toppler, die wie der verflossene Fred aus Amerika stammte, es schätzte. Europäer im allgemeinen verkörperten für sie die zivilisierten Werte, die zu fördern die Fred-Toppler-Stiftung existierte, und die Briten waren Europäer, die so vernünftig und taktvoll waren, englisch zu sprechen. Wie auch immer, alle, nicht nur Mrs. Toppler, mochten Nikki. Sie war so nett! Schon mit Drei war sie ein wirklich nettes Mädchen gewesen. Sie war es noch mit Siebzehn, ein Alter, in dem Nettigkeit eine weit rarere Errungenschaft darstellt, und fast zwanzig Jahre später war sie es immer noch. Dezent gebräunt, dezent blondiert, auf dezente Weise effektiv und auf dezente Weise nett.
    Während Nikki hinaussah, tauchten Leute aus den Fischerhütten auf und schlenderten zu den im Schatten der großen Platane aufgestellten Tischen auf dem zentralen Platz. Es waren keine Fischer; es waren nicht einmal Griechen. Es waren weder Touristen noch Urlauber. Es waren die englischsprechenden Gäste der großen europäischen Hausparty der Stiftung, die einmal im Jahr stattfand. Sie hatten den Tag in Seminaren verbracht und die minoische Küche und frühchristliche Meditationstechniken studiert, Vorführungen traditioneller makedonischer Tänze und spätmittelalterlicher Blumenarrangements gesehen. Zwischen den Veranstaltungen waren sie geschwommen und hatten eine Siesta gehalten, während des Frühstücks und bei einem Kaffee am Vormittag, bei einem Drink vor dem Mittagessen, während des Mittagessens, beim Kaffee nach dem Mittagessen, bei Tee und Snacks am Nachmittag hatten sie zivilisiert Konversation gemacht. Jetzt steuerten sie auf weitere intellektuelle Erfrischungen während des Abendessens sowie diverse Drinks davor und danach zu.
    Morgen abend würde diese ganze Zivilisation ihren Höhepunkt erreichen mit einem Champagnerempfang und einem gesetzten Dinner, anschließend wären die Gäste spirituell vorbereitet für das wichtigste Ereignis der Hausparty, den Fred-Toppler-Vortrag. Der Vortrag war eins der Highlights des griechischen Kulturlebens. Zu den Hausgästen würden sich bedeutende Besucher aus Athen gesellen, die auf dem Luft- oder Seeweg herbefördert würden. In den Zeitungen würden Artikel erscheinen, die die Wahl von Thema und Redner kritisieren und den traurigen Verlust an Qualität beklagen würden.
    Bitte, lieber Gott, lass es dieses Jahr nicht allzu schrecklich werden, betete Nikki. Alle Vorträge, wie einzigartig und besonders auch immer, waren natürlich schrecklich, aber manche waren schrecklicher als andere. Es musste selbstverständlich ein Vortrag gehalten werden. Warum? Weil es schon immer so gewesen war. Seit Gründung der Stiftung war jedes Jahr ein Fred-Toppler-Vortrag gehalten worden. Es waren Vorträge über die Krise von
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