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Das Wunder des Pfirsichgartens: Roman (German Edition)

Das Wunder des Pfirsichgartens: Roman (German Edition)

Titel: Das Wunder des Pfirsichgartens: Roman (German Edition)
Autoren: Sarah Addison Allen
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EINS
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    J ust an dem Tag, als Paxton Osgood die Schachtel mit den gefütterten, von einem Kalligrafen beschrifteten Premiumkuverts zur Post brachte, begann es so heftig zu regnen, dass die Luft weiß wurde wie gebleichte Baumwolle. Bei Einbruch der Dunkelheit traten die Flüsse über die Ufer, und zum ersten Mal seit 1936 konnte die Post nicht ausgetragen werden. Erst als es wieder trockener wurde, die Keller ausgepumpt und die Gärten und Straßen von Ästen und Laub freigeräumt waren, konnten die Einladungen zugestellt werden. Interessanterweise landeten sie allesamt bei falschen Adressen. Nachbarn standen lachend am Zaun und überreichten dem rechtmäßigen Empfänger die falsch zugestellte Post. Beiläufig erwähnte man dabei das verrückte Wetter und den nachlässigen Postboten. Am nächsten Tag tauchten ungewöhnlich viele Leute beim Arzt auf und klagten über infizierte Schnittwunden, die sie sich beim Öffnen der Kuverts zugezogen hatten. Die Feuchtigkeit hatte die Umschläge so fest versiegelt, dass diese kaum zu öffnen waren. Ihr Inhalt, eine Einladungskarte, schien sich zudem gern zu verstecken und später irgendwo wieder aufzutauchen. Mrs Jamesons Einladung war zwei volle Tage lang verschwunden und wurde schließlich in einem Vogelnest im Garten entdeckt. Harper Rowleys Einladung fand man im Glockenturm, die von Mr Kingsley im Schuppen seiner betagten Mutter.
    Hätte jemand auf die Zeichen geachtet, dann wäre ihm aufgefallen, dass die Luft häufig weiß wird, wenn sich Dinge verändern. Durch Papier verursachte Schnitte weisen möglicherweise darauf hin, dass auf dem Blatt mehr steht, als man auf den ersten Blick vermutet. Und Vögel sind immer darauf aus, Leute vor Dingen zu schützen, die sie nicht sehen.
    Aber niemand achtete auf die Zeichen, am wenigsten Willa Jackson.
    Der Umschlag lag über eine Woche lang unberührt auf der hinteren Theke in Willas Laden. Sie musterte ihn neugierig, als er mit der übrigen Post gebracht wurde. Doch als sie erkannte, worum es sich handelte, ließ sie ihn fallen, als hätte sie sich daran verbrannt. Selbst jetzt betrachtete sie ihn jedes Mal nur misstrauisch, wenn sie daran vorbeikam.
    »Mach ihn endlich auf!«, befahl Rachel schließlich einigermaßen aufgebracht. Willa drehte sich zu Rachel Edney um, die hinter der Kaffeebar auf der anderen Seite des Ladens stand. Rachel hatte kurze dunkle Haare, und in ihrer Caprihose und dem Sportoberteil sah sie aus, als wollte sie einen hohen Felsen erklimmen. Rachel war davon überzeugt, dass sie den Laden repräsentieren musste, egal, wie oft Willa ihr erklärte, dass es nicht nötig sei, die Klamotten zu tragen, die im Laden verkauft wurden. Willa selbst lief nahezu ausschließlich in Jeans und Stiefeln herum.
    »Ich gehe nicht hin. Ich muss ihn nicht aufmachen«, sagte Willa. Sie beschloss, sich an die beruhigend banale Aufgabe zu machen, die neue Lieferung von T-Shirts aus Biobaumwolle zusammenzulegen. Sie hoffte, das würde ihr helfen, das merkwürdige Gefühl zu ignorieren, das sie jedes Mal befiel, wenn sie an diese Einladung dachte. Es war wie ein mit Erwartungen angefüllter Ballon, der sich in der Mitte ihres Körpers immer weiter ausdehnte. In ihrer Jugend hatte sie sich oft so gefühlt – immer dann, wenn sie dabei war, eine große Dummheit zu machen. Mittlerweile hatte sie ihr Leben mit so viel Ruhe ausgepolstert, dass sie glaubte, nichts könne durch dieses Polster dringen. Doch offenbar irrte sie sich.
    Rachel schnalzte abfällig mit der Zunge. »Du bist wirklich versnobt.«
    Willa musste lachen. »Erklär mir bitte, was daran versnobt ist, wenn ich die Einladung zu einer Galaveranstaltung, die von den reichsten Frauen der Stadt organisiert wird, nicht öffne.«
    »Du rümpfst über alles, was sie machen, die Nase. Offenbar findest du sie einfach nur blöd.«
    »Das stimmt nicht.«
    »Nun, entweder es stimmt, oder du hegst den heimlichen Wunsch, diesem Kreis anzugehören«, meinte Rachel und band sich die grüne Schürze um, auf der in gelben Buchstaben Au Naturel Sporting Goods and Café prangte.
    Rachel war acht Jahre jünger als Willa, aber Willa hatte Rachels Ansichten nie wie die einer Zweiundzwanzigjährigen abgetan, die glaubt, sie habe den großen Durchblick. Rachel war viel herumgekommen und wusste eine Menge über die Menschen. In Walls of Water hatte sie sich nur deshalb vorübergehend niedergelassen, weil sie sich hier in einen Mann verliebt hatte. Die Liebe, pflegte sie zu sagen,
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