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Malenka

Malenka

Titel: Malenka
Autoren: Irina Korschunow
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Dennoch, die vielen Flüchtlinge und Ausgebombten brauchten Kleidung, Bettwäsche, Handtücher, und Harald, der die Produktion weitgehend von Leinen auf Baumwoll- und Wollstoffe umgestellt hatte, besaß nicht nur eine Nase für die Bedürfnisse und den Geschmack der Kundschaft, sondern auch für Kanäle, über die sich das notwendige Rohmaterial aus dem Ausland beschaffen ließ, nach wie vor schwierig unter den bizonalen Verhältnissen. Fast hundert Webstühle waren wieder in Betrieb, und kaufmännisch, sagte der alte Hellkamp, der jetzt immer häufiger die Tage auf dem Sofa verbrachte, sei sein Sohn ein Fuchs, da könne er sich ganz beruhigt nach Norderney zurückziehen, und wenn Adenauer Bundeskanzler würde, müsse man sich wegen der Gewerkschaft auch keine Sorgen mehr machen.
    Politik, ebenfalls ein gern diskutiertes Thema an diesen Abenden im Sommer 1949. Die Wahl des ersten Bundestags stand bevor, auf der einen Seite die CDU mit der sozialen Marktwirtschaft, auf der anderen die SPD, die für Planwirtschaft eintrat, Freiheit also, darin waren Vater und Sohn sich einig, gegen Zwang und Beschränkung der Arbeitgeberrechte, nur nicht die Roten, um Himmels willen nicht die Roten. Ein Männergespräch im übrigen. Frau Hellkamp senior saß schweigend im Sessel, die Augen aufmerksam ihrem Gatten zugewandt, ein kleiner Trick, wie sie Margot verriet. Die Gedanken nämlich ließe sie zu erfreulicheren Dingen schweifen, doch ein Mann brauche das Gefühl, alles, was er sage, sei von Interesse für seine Frau. Margot schwieg genauso, obwohl sie täglich die Zeitung las, Radiokommentare hörte und sich ihre eigenen Gedanken machte. Gegen sich selbst leben, wird sie einmal zu Wiethe sagen, sie habe gegen sich selbst gelebt. Kein Zustand auf die Dauer, sie weiß es längst, und der schon erwähnte Streit, jener erste, schwerwiegende in ihrer Ehe, entzündete sich an eben den Fragen, zu denen sie bisher geschwiegen hatte.
    Es war August, am Sonntag vor der Wahl, als Harald seinen neuen VW Export bekommen hatte, ein bewegendes Ereignis. Die Wagen des Betriebs waren im Krieg bis auf ein Tempo-Dreirad beschlagnahmt worden, und dem alten, noch vor der Währungsreform erkungelten Opel P4 drohte täglich der Zusammenbruch. Und nun dieses Auto, das erste nach zehn Jahren. Bestellt hatte man es bereits 1938 bei Hitlers großer VW-Aktion, jedem Volksgenossen sein Volkswagen, neunhundertneunundneunzig Mark der Preis. Jetzt kostete er fast fünfeinhalbtausend, aber was machte es, da war er, Symbol der seinerzeit zwar unterbrochenen, aber keineswegs beendeten Fahrt in eine bessere Zukunft.
    »Wir kommen wieder nach oben«, sagte Harald, die Hand auf dem bordeauxroten, makellosen Lack des Kotflügels, »die haben uns noch längst nicht kleingekriegt, die werden sich noch wundern.«
    Am Sonnabend hatte man das Auto geliefert, am Sonntag sollte es eingeweiht werden. Jungfernfahrt, das Wetter schön, Volkswagenwetter, sagte Harald, der Mann am Steuer. Sie fuhren durchs Lipper Land bis nach Bad Salzuflen, wo sie im Kurhaus Kaffee trinken wollten, kein guter Einfall, wie sich zeigte, das Restaurant war überfüllt, und als sie endlich einen leeren Tisch gefunden hatten, reagierte der Ober weder auf Winke noch auf Rufe.
    »Wir hätten zu Hause bleiben sollen«, sagte Harald ärgerlich. »Am Sonntag ist das ganze Volk unterwegs. Dahinten sitzen sogar ein paar Mädchen aus der Weberei.«
    »Dürfen sie das etwa nicht?« fragte Margot.
    Er überhörte ihren gereizten Ton, bestellte, weil endlich der Ober erschienen war, Kaffee, Kirschtorte und Kognak, redete über die Vorzüge seines VW, und als der Kaffee kam, sagte er: »Guck sie dir an, die dürfen wählen. Und die wählen alle Sozi, ist doch klar.«
    Margot sah in sein Gesicht, der Silberblick, der ihr so gut gefiel oder gefallen hatte, denn in diesem Moment saß ein Fremder ihr gegenüber, ein besserer Herr wie jener, der ihre Mutter Hedwig im Stich gelassen hatte. Harald Hellkamp, der Juniorchef in seinem beigefarbenen Sommeranzug, was hatte sie mit ihm zu tun.
    »Ist was?« fragte er.
    »Du solltest für das Zweiklassen-Wahlrecht kämpfen«, sagte sie. »Wie im alten Preußen.«
    »Wäre gar nicht schlecht.« Er lachte und steckte sich ein Stück Torte in den Mund.
    »Dann mußt du gleichzeitig das Frauenwahlrecht wieder abschaffen. Ich wähle nämlich auch die Sozis.«
    »Mach nicht solche Witze.« Harald lachte immer noch, und sie sagte: »Es ist kein Witz.«
    »So?« Er griff nach ihrem
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