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Malenka

Malenka

Titel: Malenka
Autoren: Irina Korschunow
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Margot, könnte Harald gleichfalls zum Arzt gehen, was er als Zumutung empfand. Ob sie ihn für einen halben Hahn halte, wollte er wissen, schon wieder eine Verstimmung, aber auch diese wurde geglättet.
    Und dann endlich, im August, war es soweit. »Ich gratuliere«, sagte der Arzt, und alle im Haus freuten sich. Frau Hellkamp senior ordnete an, die Wiege aus schwärzlichem Eichenholz, in der schon ihr Mann und ihre Söhne gelegen hatten, vom Speicher zu holen, und der alte Hellkamp, trotz Westwind und Hustenanfällen, ließ es sich nicht nehmen, bei dem Juwelier Schlüter in der Oberstraße eigenhändig einen herzförmigen Anhänger auszuwählen, Rubine und Brillanten, den er Margot am Abend mit feierlichen Worten überreichte. Harald wollte sie gar nicht aus den Armen lassen und gab sogleich die zweite Schnur für die Perlenkette in Auftrag, zu früh, alles viel zu früh, »ist Tag erst gut, wenn Mond wird hell«, hatte Anna Jarosch gesagt. Aber niemand dachte im Überschwang an Sprüche dieser Art, auch Margot nicht, was wußte sie von Schwangerschaft und Geburt, von den Empfindlichkeiten des Leibes und der Seele, von dem Dämon Fratzefrau, der ihr im Dobbertinschen Laden, als sie auf ihrem Bänkchen vor dem Zuckersack gesessen hatte, begegnet war. Sie freute sich nur, auf das Kind, und daß sie endlich eine Aufgabe haben sollte im Haus. Und vielleicht, wenn der Koreakrieg nicht gerade begonnen hätte in diesem Sommer, wäre das Kind, mit aller Vorsicht sei es gesagt, sogar zur Welt gekommen, wären zumindest die Folgen seiner Lebensverweigerung nicht so dramatisch verlaufen. Aber irgendwann mußte ihr Wolkenhaus wohl zusammenfallen, so oder so.
    Der Anstoß kam von oben, aus der Bonner Zentrale gewissermaßen, ausgelöst durch das Angebot von Bundeskanzler Adenauer, die in Korea kämpfenden Amerikaner mit einem deutschen Truppenkontingent zu entlasten. Adenauers Politik und Margot? Keineswegs ein abwegiger Gedanke, soweit es Wiethe betraf, der, wie man weiß, zu ketzerischen Äußerungen neigte. »Wieso abwegig?« sagte er, als seine Zeit gekommen war, »Politik, die setzt sich in deine Stube und legt sich zu dir ins Bett und kocht deine Suppe und tritt dich in den Hintern, daß du direkt im Sarg landest. Warum sollten Frauen in ihrer Panik da keine Fehlgeburt kriegen?« Grund genug gäbe es jedenfalls, und wenn die Mütter bereits bei den Ungeborenen empfindlicher reagieren würden, müßten sie möglicherweise weniger um die Geborenen weinen.
    So Wiethe im nachhinein. Noch allerdings hat er nicht mitzureden, es war Haralds Kind, das in der Emailleschale hinausgetragen wurde, ein vier Monate alter Fötus, männlichen Geschlechts, wie der Arzt auf dringliche Fragen erklärte. Harald gab es an Margot weiter: »Mein Sohn!« sagte er, »du hast meinen Sohn umgebracht«, wenngleich nicht einmal feststand, ob der Abgang tatsächlich eine Folge ihrer Verzweiflung war, jenes Ausbruchs, hysterischen Anfall nannte ihn Harald, zu dem sie sich hinreißen ließ, als am Abend des 8. November vom Rundfunk Auszüge der Bundestagsdebatte gesendet wurden, in der Bundeskanzler Adenauer für die Wiederbewaffnung plädierte als Beitrag zur europäischen Abwehrfront gegen die Sowjets.
    Es war gegen Ende des dritten Monats, die Phase des Mißbefindens vorüber, Margot fühlte sich wohl, behütet und geborgen. Haralds Eltern wohnten seit Anfang Oktober auf Norderney, und so, hoffte Margot, würde es bleiben, nur Harald und sie im Haus, bald noch das Kind, und nicht mehr die Allgegenwart ihrer Schwiegermutter, deren Augen und Ohren kaum etwas entgangen war von den Stimmig- und Unstimmigkeiten oben im ersten Stock. Kurz vor der Abreise hatte sie Margot beim Schlachter noch einen Rat erteilt, angesichts frischer Pökelzungen, ihrer Vorliebe und ihrem Verzicht, denn der alte Hellkamp verabscheute Zunge, wogegen Innereien, die wiederum sie nicht riechen konnte, zum ständigen Repertoire gehörten, mit Äpfeln und Zwiebeln, in Senf- oder Kognaksoße. »Pökelzunge in Burgunder«, sagte sie sehnsüchtig, während die Schlachtersfrau Nieren abwog, wies jedoch Margots Vorschlag, sich diesen Wunsch gelegentlich zu erfüllen, weit von sich. »Man muß Zugeständnisse machen, Margret. Siebzig Prozent des Glücks einer Ehe beruhen auf Kompromissen, und mindestens sechzig davon gehen aufs Konto der Frau.«
    Da stand sie, in ihrem hellgrauen Schneiderkostüm, Frau Hellkamp senior, gewohnt, daß ihr in jedem Laden nur die besten Stücke vorgelegt
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