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An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

Titel: An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)
Autoren: Isabel Beto
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    Prolog
1533
irgendwo in den nördlichen Anden
    Ihr Name war Yutid. Er nannte sie Judith. Nicht nur, weil er imstande war, Namen zu ändern, hielt sie ihn für einen Gott. Die Männer ihres Volkes sagten, die Männer seines Volkes seien Götter, denn sie beherrschten das Meer, die Tiere, den Donner und den Sapa Inka, den sie gefangen gesetzt hatten. Und der war selbst ein Gott.
    «Ich nehme dich mit ins Heilige Römische Reich, Judith», sagte er. «Ich schenke dich meinem Kaiser.»
    Da sie die Worte nicht verstand, versuchte er mit Gesten und in die Erde gekratzten Strichen zu erklären, was er meinte. So vieles war ihr unangenehm in seiner Gegenwart, aber auch, dass sie so begriffsstutzig war. Sie wünschte sich, er würde einfach ihre Sprache benutzen. Er war schließlich ein Gott. Er wäre dazu sicherlich fähig.
    «Das geht nicht», entgegnete sie, als sie den Sinn erkannt zu haben glaubte. «Ich bin nur eine Frau der Hueta. Ein Hueta ist für einen Inka nichts wert; ein Inka ist für den Sapa Inka nichts wert; und der ist ein Gefangener deines Volkes – ich kann also nicht vor deinen Herrscher treten, ohne dass sein Blick mich umbringt.»
    Er nickte und lächelte. Ihm fehlte ein Schneidezahn. In seinem zerzausten Bart nisteten Läuse. Seine filzigen Haare sahen aus, als ließen sie sich niemals wieder entwirren, und er schwitzte und stank. Yutid nahm an, dass ein Gott zum Leiden verdammt war, wenn er in seiner menschlichen Gestalt steckte. Dennoch war er unter all dem Schmutz betörend schön. Sein Haar besaß die Farbe des Goldes.
    Zum dritten Mal, seit die Sonne nach dem Blutbad aufgegangen war, wälzte er sich auf sie und schob ungeduldig mit Händen und Knien ihre Schenkel auseinander. Sein Amulett in Form zweier gekreuzter Stäbe schlug gegen ihre Wange, während er mit roher Kraft in sie stieß. So taten es Männer, die noch Kampflust im Blut hatten und sie anders nicht mehr loswurden oder seit Monaten darben mussten. Ihr Körper passte jedoch nicht zu dem eines Gottes. Ihre Scham war wund; ihre Glieder fühlten sich an wie zerschlagen. Trotzdem schaffte sie es auch diesmal, stillzuhalten und nicht zu weinen.
    Seit sie in seiner Gewalt war, fragte sich Yutid, ob man ihn – oder einen der anderen zwanzig Götter – töten konnte. Sie nahm es nicht an. Ihr Vater, der Häuptling der Tiri-Hueta, hatte sie und ihren Gefährten Bocata ausgeschickt, dem Sapa Inka den Goldschatz des Dorfes zu bringen. Ein Bote hatte es gefordert. Alles Gold und alles Silber gehörten ohnehin dem Sohn der Sonne, also hatten sich alle kampffähigen Männer des Stammes aufgemacht, Yutid und Bocata zu begleiten. Es war eine ehrenvolle und schwierige Aufgabe. Bocata sollte beweisen, dass er reif war, die Häuptlingstochter zu bekommen, und Yutid, einen Mann zu wählen. Doch am Ende einer schmalen Hängebrücke, die sich in schwindelerregender Höhe über einen reißenden Fluss spannte, waren sie von den fremden Göttern überfallen worden. Mühelos hatten die hellhäutigen, bärtigen Männer mit überaus langen Messern und Donner aus schwarzen Rohren die hundert Krieger niedergemacht. Nicht einer der Götter war bei dieser ungleichen Schlacht verletzt worden. Nicht einer!
    Der weiße Gott rollte sich neben ihr auf den Rücken. Sichtlich zufrieden mit sich, schob er die Hände unter den Nacken.
    «Weißt du, wer Judith war?» Dem Tonfall nach war es eine Frage. Yutid wartete, ob er sich wieder die Mühe machte, die Worte mit Gesten zu erklären, doch er ließ die Hände unter seinem Kopf. «Das war eine gottesfürchtige jüdische Frau, deren Stadt von einem assyrischen Heer belagert wurde. Sie ging ins Zelt des Feldherrn Holofernes und betörte ihn mit Wein und ihrer Schönheit. Als er betrunken auf seinem Lager schlief, hat sie ihm mit seinem Schwert den Kopf abgehauen. Sie und ihre Magd sind dann unbehelligt mitsamt dem Kopf in die Stadt zurückgeschlichen. Am andern Morgen fanden die Soldaten die Leiche und waren darüber so entsetzt, dass sie flüchteten. Aber ich habe mein Schwert natürlich nicht hier unter meiner Hängematte liegen, und außerdem heiße ich Hans von Sprenger. Verstehst du?» Er lachte rau, legte eine Hand auf seine Brust und drehte den Kopf nach ihr, um sie eindringlich anzusehen. «Hans von Sprenger! Einen wie mich nennt man einen Konquistador.»
    Die Geste deutete an, dass er seinen Namen genannt hatte. Aber Yutid war sich nicht sicher. Er war ja ein Gott, der Namen veränderte,
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