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An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

Titel: An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)
Autoren: Isabel Beto
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Explosion aus Farben wirkten, wo Echsen fast so groß wie Drachen und raubzahnbewehrte Fische so gefährlich wie Wölfe waren?
    «So, Sie wollen also in Pferden machen , wie man so schön sagt, Herr Götz», hörte sie durch ihre Träumerei hindurch den Kapitän. «Venezuela soll dafür ja eine außerordentlich gute Gegend sein. Die Ebenen am Orinoco sind die schönsten und besten Viehweiden der Welt, heißt es. Ein Pferdenarr kann dort wohl sein Glück machen.» Er hob sein Portweinglas in Reinmars Richtung.
    Elegant erwiderte Reinmar den Trinkgruß. «Genau deshalb will ich dorthin.» Er strich sich eine Locke aus der Stirn, was Janna innerlich aufseufzen ließ. «Was dem Seemann sein Salzwasser, ist mir das Pferdeblut. Es liegt in der Familie. Alter Pferdezuchtadel, sozusagen. Das Gestüt meines Vaters hatte die Ehre, von Napoleon Bonaparte höchstpersönlich geplündert zu werden. Die besten Pferde landeten in den Bäuchen französischer Soldaten.»
    «Ah, dann wissen Sie ja schon, wie das vor sich geht, wenn Milizen der Criollos, Llanero-Banden oder gar Cimarrónes eine Hazienda heimsuchen.»
    Janna hob die Brauen.
    «Verzeihung, Fräulein Sievers», Kapitän Vesterbrock nickte in ihre Richtung. «Criollos sind die Nachkommen spanischer Einwanderer, die mit Sklaven und Kakao fürchterlich reich geworden sind und die herrschende Kaste bilden; Llaneros sind das, was anderswo Gauchos oder Cowboys sind, und Cimarrónes nennt man entlaufene Haustiere und demzufolge auch flüchtige Sklaven.»
    Das wusste sie wohl. Aber nicht, dass von ihnen Gefahr drohte. «Angostura soll ruhig und friedlich sein. Mein Vater hat sich bei berufener Stelle erkundigt.»
    «Auf der ganzen Welt gibt es keinen ruhigen Flecken», ließ sich der Pastor vernehmen. «Dazu hätte man einige Jahrzehnte früher geboren sein müssen. Da hatte auch in Europa alles noch seine Ordnung: oben König und Adel, unten das arme Volk, und dazwischen konnte man sich irgendwie einrichten, wenn Gott es gut mit einem meinte. Aber dann kam ja dieser freigeistige Flächenbrand aus Frankreich und danach der gierige Korse. Ich zum Beispiel musste wegen der französischen Pferde meine Kirche zu einem Stall umfunktionieren. Einer der jungen Messdiener geriet mit dem Kopf unter die Hufe. Er hat es überlebt, ist aber seitdem schwachsinnig.» Und er selbst hatte es vorgezogen, über den Atlantik zu reisen, um den Einheimischen in irgendeiner gottverlassenen wilden Einöde Gottes Wort zu verkünden, wie er zu einer anderen Zeit erzählt hatte. Nun hatte er während der Überfahrt als Seligmachersmaat gedient.
    «Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie solche Schauergeschichten in Gegenwart des Fräuleins unterlassen würden», sagte Frau Wellhorn.
    Janna hatte oft von solch schlimmen Dingen gehört; überall waren sie geschehen. Das Colonialhandelshaus Sievers war weitgehend verschont geblieben, denn ihr Vater hatte einen Großteil seines Vermögens geschickt eingesetzt, um für sich und die Familie etliche Vergünstigungen zu erkaufen. Niemals hatte er fremde Männer beherbergen müssen; und als die Villa an der Alster, das Kontor gegenüber am Harvestehuder Weg und die Lagerräume im Freihafen nach englischen Waren durchsucht worden waren, hatte er zumindest verhindern können, dass alles konfisziert oder zerschlagen wurde. Ein kleiner Teil war geblieben, und sie hatten nicht wie andere Familien Kaffee aus gebrannten Eicheln zum trockenen Kuchen essen müssen. Oder Zigarren aus Kastanienblättern zum wässrigen Tee geraucht. Trotzdem dachte sie entrüstet: Ich bin doch nicht aus Zucker!
    Die Konversation schwenkte von der Franzosenzeit auf die hanseatische Vorliebe für alles Britische um, was sich in der Zusammenstellung des Menüs widerspiegelte, und wie es auf Auswanderer- und Sklavenschiffen zuging, wo sich die Menschen dicht zusammendrängen mussten und es kaum mehr als Schiffszwieback zu essen gab, an dem man sich nur dann nicht die Zähne brach, wenn man das zweifelhafte Glück hatte, auf eine fette Made zu beißen. Kapitän Vesterbrock erzählte von dem, was sein Schiff geladen hatte, nämlich französisches Empire-Ameublement, das bei den mächtigen Criollo-Familien in Caracas sehr beliebt war, und was er zurück nach Europa bringen würde, hauptsächlich den begehrten Kakao. Er hielt inne, als es klopfte und ein Matrose erschien.
    «Ah, der Lotse ist da.» Vesterbrock stand auf und rückte seinen Rock mit dem breiten, goldbestickten Stehkragen zurecht. «Ich
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