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An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

Titel: An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)
Autoren: Isabel Beto
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meine liebe Judith. Außerdem möchte ich diese Kammer voller Gold und Silber gerne mit eigenen Augen sehen. Bei allen Heiligen, so viel Gold …»
    Da, wieder dieses Wort – Gold . Jedes Mal, wenn er es aussprach, leuchteten seine Augen wie die eines verliebten Mannes. Schlimmer noch, er war besessen davon. Er würde ihr den Schatz stehlen. Nein, nicht ihr, das hatte er ja bereits getan. Dem Sohn der Sonne.
    Grunzend kroch er über sie und verlangte Einlass. Zum vierten Mal. Ergeben schloss Yutid die Augen und wartete, dass der brennende Schmerz, der ohnehin nicht mehr nachlassen wollte, ihr den Verstand raubte. Doch der Mann sackte über ihr zusammen und begann von einem Moment auf den anderen zu schnarchen.
    Sie wartete. Sie wartete lange. Es kostete sie große Überwindung, die Hände auf seine Schultern zu legen und ihn so weit nach oben zu drücken, dass sie unter ihm hinweg aus der Hängematte kriechen konnte. Dass er nicht erwacht war, machte sie mutiger. Breitbeinig wankte sie durch das Zelt, fand einen Krug mit Wasser, den sie gierig an die Lippen setzte, und in einer Schale ein Stück Brot. Es war so trocken, dass sie husten musste, aber auch das weckte ihn nicht.
    Draußen prustete eines der großen Tiere; die Schritte eines Mannes näherten sich und verklangen wieder, und aus den anderen Zelten wehten leise Stimmen herüber. Noch war es Tag. Aber die Dämmerung pflegte schnell wie eine Raubkatze zu kommen. Yutid überlegte, ob sie flüchten und allein und in Schande zu ihrem Vater zurückkehren sollte. Nein. Sie würde den Schatz nicht diesen Dieben überlassen. Denn mochten sie Götter sein, sie waren diebische Götter.
    Sie fand ihren buntgewebten Schurz und schlang ihn sich um die Hüften. Daneben lag die seltsame Kleidung, die er sich, zitternd vor Erregung, von seinem großen, straffen Leib gerissen hatte. Der Stoff, den er auf dem Oberkörper getragen hatte, musste einstmals weiß gewesen sein, weiß wie das Gewand des Sapa Inka. Seine Hüften waren von üppiger roter Stofffülle umschlossen gewesen, während seine Beine in ledernen Hülsen gesteckt hatten, die fürchterlich unbequem aussahen. Yutid bückte sich nach dem Gürtel, in den beeindruckend viel Metall eingearbeitet war. Doch eine Waffe hing nicht daran.
    Lautlos schlich sie zu dem Sack und schnürte ihn mit fliegenden Fingern auf. Sie griff hinein, ertastete die Kanten von Figuren, Sonnen, Augen, eckig und rund. Es war unerträglich, so langsam vorgehen zu müssen, damit das Gold nicht aneinanderklickte. Ihre Finger umschlossen den gesuchten Gegenstand. Unendlich behutsam zog sie ihn heraus. Es war die kleine Figur des Inti, des Sonnengottes, das göttliche Selbst des Sapa Inka. Er stand auf einer Stele. Der weiße Gott hatte diesen Gegenstand bewundernd in den Händen gedreht, doch nicht erkannt, was er wirklich war.
    Yutid zog die Stele mit einem Ruck ab. Eine goldene Messerklinge kam zum Vorschein. Und alle Furcht und alle Zweifel, ob sie es wirklich tun sollte, flohen.
    Erstaunt lauschte sie in sich hinein – war wirklich sie das, die an die Seite der Hängematte trat und mit beiden Händen den Messergriff umschloss? Die die geschundenen Finger hin und her bewegte, um ihn möglichst sicher zu halten? Ja, Vater Sonne mochte ihr beistehen, ja! Sie riss das Messer hoch und stieß es mit aller Kraft und allem Hass nieder, dorthin, wo sich hoffentlich das Herz des weißen Gottes befand.
    Er tat einen gurgelnden Laut. Fassungslos riss er die Augen auf, stierte Yutid an und langte nach seiner Brust. Sein riesiger Körper zuckte so heftig, dass die Hängematte ins Schwanken geriet und er bäuchlings in den Staub fiel. Yutid wurde für einen entsetzlich langen Augenblick schwarz vor Augen. Sie schwankte und musste sich an einem der Zeltpfosten festhalten. Allmählich kehrte die klare Sicht zurück. Der Gott lag still. Unter seiner Brust breitete sich Blut aus, so glänzend, rot und Übelkeit verursachend wie jedes menschliche Blut.
    Yutid warf sich auf den Sack, umschloss ihn mit beiden Armen und schleppte ihn durch den Spalt des Zeltvorhangs ins Freie. Hinter ihr stieß er gurgelnde Laute aus, die seine Männer heranlockten. Sie bewegten sich gemächlich, so als hätten sie wohl gehört, dass etwas Übles geschehen war, doch sie mochten es noch nicht glauben. Oder sie waren noch zu benommen von ihrer Raserei und den schweren Bäuchen, die sie sich ebenso gierig mit den Lamas vollgeschlagen hatten. Auch als Yutid mit ihrer Last zwischen
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