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0470 - Die blutrote Nacht

0470 - Die blutrote Nacht

Titel: 0470 - Die blutrote Nacht
Autoren: Werner Kurt Giesa
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Paolo Sebastian, 22 Jahre jung, lehnte sich an seinen Ford Galaxie, fischte eine zerknautschte Zigarettenpackung aus der Brusttasche seines Hemdes und zog eines der Stäbchen heraus, um es sich zwischen die Lippen zu stecken. Nicht weit von ihm entfernt pfiffen Ratten und stritten sich um den Inhalt eines umgestürzten Abfallkübels. Paolo grinste. Er stellte sich vor, wie diese ekligen, langschwänzigen Biester auseinanderspritzen würden, wenn er die Pistole aus dem Handschuhfach nähme und ein paar Schüsse auf sie abfeuerte.
    Aber das wäre Munitionsverschwendung, und Munition war teuer. Also blieb es nur Wunschvorstellung. Paolo riß ein Zündholz an und setzte die Zigarette beim zweiten Versuch in Brand. Das Hölzchen ließ er einfach fallen; es verlosch von allein.
    Er rauchte mit Genuß. Aber nie im Wagen. Es reichte schon, daß der Ford Galaxie, der so alt war wie Paolo selbst, an allen Ecken klapperte und nur deshalb noch nicht auseinandergefallen war, weil der Rost alles zusammenhielt. Tabakgeruch in den Polstern mußte deshalb nicht auch noch sein. Das würde auch noch einen Teil der ohnehin sparsam gesäten Fahrgäste abschrecken, die über den traurigen Restzustand des Wagens gerade noch hinwegsahen, weil sie lieber in einem Nichtraucherauto fuhren. Es war eine Schraube ohne Ende - weil das Taxigeschäft so schlecht lief, hatte Paolo kein Geld für Reparaturen, und weil der Wagen nicht zuverlässig wirkte, blieben auch die Kunden aus.
    Was in Ordnung war, waren Motor, Getriebe, Lenkung und Bremsen - darauf achtete Paolo sorgfältig. Immerhin wollte er ja zumindest selbst überleben. Aber für mehr als die Instandhaltung dieser Dinge reichte das Geld so gut wie nie; er konnte sich gerade so über Wasser halten, ohne verhungern zu müssen. Aber wenn er sich vorstellte, eine Frau und ein paar Kinder zu haben, die er ernähren müßte - das schaffte er einfach nicht. Dabei hätte er so gern Kinder gehabt. Möglichst ein halbes Dutzend auf einmal. Paolo Sebastian liebte Kinder.
    Er blies den Zigarettenrauch zum Nachthimmel hinauf. Durch die Dunstglocke über Rio waren nur ein paar Sterne zu sehen - statt dessen aber etwas, das dem jungen Taxifahrer, der sein Gewerbe betrieb, seit er sechzehn geworden war, glatt die Sprache verschlug.
    Hoch über ihm in der Straßenschlucht, etwa in Höhe des fünften Stockwerkes, bewegte sich etwas in der Luft, das wie eine überdimensionale Fledermaus aussah. Paolo glaubte zu träumen, als er erkannte, daß diese Fledermaus eine Frau in ihren Klauen hielt! Völlig lautlos bewegte sie sich dabei, dabei hätte der Schlag der mächtigen Flughäute doch laut klatschend durch die Straße hallen müssen!
    »Das gibt's nicht«, keuchte Paolo. »Ich träume!«
    Nur war er hellwach, und über ihm spielte sich ein Drama ab, wie er es sich in seinen schrecklichsten Alpträumen niemals hatte vorstellen können.
    Unwillkürlich stöhnte Paolo auf. Er sah ein offenes Fenster, hinter dem Licht brannte. Aus diesem Fenster mußte die Frau gezerrt worden sein, die da oben in den Klauen des Fledermausungeheuers hing und sich verzweifelt wehrte. Auch sie gab keinen Laut von sich, und die Lautlosigkeit machte das Geschehen nur noch um so gespenstischer!
    Paolo rieb sich die Augen, aber das Bild blieb. Dabei war er weder betrunken, noch stand er unter Drogen, weil er für beides kein Geld übrig hatte und die Zigaretten sein einziges Laster waren.
    Plötzlich fiel die Frau herab! Gleichzeitig schrumpfte das fliegende Ungeheuer auf normale Fledermausgröße zusammen und jagte mit schnellen Schlägen seiner Flughäute davon, die jetzt plötzlich auch klatschend hörbar waren!
    Paolo schrie auf; die Frau konnte es wohl nicht mehr.
    Im nächsten Moment lag sie vor ihm auf der Straße!
    Er schaute weg. Zu furchtbar war das Bild, und Paolo spie die gerade erst angerauchte Zigarette aus, sprang in den Ford Galaxie und jagte mit durchdrehenden Rädern davon. Das Grauen saß ihm im Nacken…
    ***
    Für die Polizei von Rio de Janeiro war das Mädchen Lauretta ein Fall unter vielen. Täglich starben Menschen eines unnatürlichen Todes.
    Ihre Wohnung war von innen verschlossen, und es gab keine andere Möglichkeit, sie zu betreten, als durch die Korridortür. Eine Feuerleiter existierte ebensowenig wie eine fensternahe Regenrinne, die stabil genug war, daß ein Einbrecher und Mörder daran aufwärts oder abwärts hätte klettern können. Lauretta mußte aus dem Fenster gesprungen sein, um ihrem Leben ein
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