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Virgil Flowers - 04 - Blutige Saat

Virgil Flowers - 04 - Blutige Saat

Titel: Virgil Flowers - 04 - Blutige Saat
Autoren: John Sandford
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EINS
    Spätherbst, kahle schwarze Äste vor grauen Wolken, kalte Tage, noch kältere Nächte. Die Sojabohnenernte hatte wegen des kühlen Sommers spät begonnen, und ab Oktober hatte es wochenlang geregnet. Deshalb waren die Mähdrescher jetzt trotz des drohenden schlechten Wetters fast durchgehend im Einsatz.
    Bob Tripp lehnte an der dem Highway zugewandten Mauer des Silos der Farmergenossenschaft Battenberg. Er wusste, dass Jacob Flood auf dem Weg zu ihm war.
    Die Ernte konnte man nicht nur sehen – die Lichter in der Nacht, die Traktoren und Laster auf den Straßen –, sondern auch hören, riechen und sogar schmecken. Schmeckte nach Getreide und Staub, dachte Tripp. Seine Lieblingsjahreszeit: die Rotwildsaison gerade vorbei, die Schneemobile mit den Vorderladern in den Startlöchern.
    Flood hatte am frühen Nachmittag vom Feld aus angerufen: »Ich brauche einen Termin. Habt ihr was frei? Müsste schnell gehen.«
    »Im Moment werden zwei Wagenladungen gewogen«, hatte Tripp geantwortet. »John McGuire kommt in zwanzig Minuten, danach ist frei. Wenn Sie in einer Stunde da sein könnten, sollte es hinhauen.«
    »Dann trag mich für drei ein. Und wie gesagt: Es müsste schnell gehen.«
    »Ich tue mein Möglichstes«, hatte Tripp versprochen.
    Tripp war neunzehn, an der Highschool, mit einem Football-Stipendium vom College. Aber wegen eines Beinbruchs bei einem Autounfall im Juni hatte er diese Pläne um ein Jahr verschieben müssen. Im September hatte er eine Aushilfsstelle im Büro der Genossenschaft angenommen, wo das Bein nicht so wichtig war. Die Heilung machte aufgrund der täglichen Physiotherapiestunden gute Fortschritte. Der Arzt sagte, im Frühjahr wäre er wieder ganz der Alte.
    Tripp sah auf seine Uhr. Fünf vor drei. Er ging zurück zu dem kleinen Büro und öffnete seinen Spind, in dem sich seine Privatkleidung befand. Er schob sie beiseite und nahm den Baseballschläger aus Aluminium heraus, den er dahinter versteckt hatte.
    Den Schläger besaß er seit seinem fünften Lebensjahr; schon damals war er ein guter Sportler gewesen. Er ließ ihn ein paarmal durch die Luft sausen und wog ihn in der Hand. Möglicherweise würde man ihn fassen, doch das würde ihn nicht an seiner Tat hindern.
     
    Jacob Flood war spät dran und kaum noch in der Lage, die Augen offen zu halten. Er lehnte den Oberkörper auf die Hupe des alten Chevy, als er ihn zur Waage lenkte. Seit dem frühen Mittwochmorgen hatte er nur vier Stunden geschlafen. Er war fix und fertig und die Ernte noch immer nicht ganz eingebracht.
    Bobby Tripp, der einen grauen Overall und eine verkehrt herum aufgesetzte Kappe über den langen Haaren trug, trat heraus. Er wog den Truck und dirigierte Flood, während dieser ihn rückwärts durch das über sechs Meter hohe Eingangstor lenkte. Viel Platz war nicht, gerade so viel, dass sich rechts und links ein Mann durchzwängen konnte. Flood sah in den Rückspiegel, bis der Junge ihm mit einem Winken signalisierte, dass er anhalten solle.
    Dann bewegte sich der Junge auf das Gitter, um die unteren Luken des Trucks aufzumachen, damit sich der Druck auf die Haupttüren verringerte. Sobald das erledigt war, würde Flood mittels Hydraulik die Ladefläche, auf der etwa dreißig Tonnen Sojabohnen lagen, schrägstellen.
    Flood hörte, wie der Entladungsvorgang begann. Der Junge winkte, und Flood aktivierte die Hydraulik. Als die Ladefläche die maximale Neigung erreicht hatte, lehnte er sich auf seinem Sitz zurück und schloss die Augen. Nur eine Stunde Schlaf …
    Die Stunde würde er sich gönnen, wenn er zu Hause war. Doch wenn der herannahende Sturm Schnee brachte, würden Sojabohnen im Wert von mehreren zehntausend Dollar auf dem Feld verrotten. Er hätte gern noch einen Mähdrescher eingesetzt, aber alle Farmer suchten verzweifelt nach Maschinen, und es waren einfach keine guten zu bekommen.
    Trotzdem würde er es schaffen, die Ernte einzubringen, vorausgesetzt, das Wetter hielt, und er blieb wach.
     
    Als der Junge ans Wagenfenster klopfte, schreckte er hoch. »Was ist los?«
    »Ich krieg die Haupttür nicht auf. Der Griff klemmt. Helfen Sie mir?«
    Flood kletterte vom Truck herunter. Er war kein bulliger Mann, besaß aber die gestählten Muskeln eines Vierzigjährigen, der sein Leben lang körperlich gearbeitet hat. Er trug einen OshKosh-Overall und eine Kappe, auf der »Johannes 3,16« stand.
    Flood ging hinten um den Truck herum zum Gitter. Sojabohnen rieselten aus der Luke. Der Farmer beugte sich vor,
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